Tötet mich!
Theater Szczecin: Hebbels »Judith«
Der Regisseur gehört zu den Wanderern zwischen verschiedenen Welten. In Polen geboren und ausgebildet an der Berliner »Ernst-Busch«-Hochschule ausgebildet, hat er inzwischen Armin Petras/ Fritz Kater in Israel inszeniert sowie in Polen Brecht, Kleist und Heiner Müller auf die Bühne gebracht.
Nun also Friedrich Hebbels selten gespielte »Judith« aus der deutschen Nachklassik, eine Entdeckung für Polen in der Übersetzung des renommierten Dramen-Übersetzers Jacek St. Buras. Das halbe Berliner Theatervolk war in die Oderstadt Szczecin gereist, um zu sehen, wie Klemm die Grundfrage einer jeden »Judith«-Inszenierung stellt. Gibt sie sich König Holofernes hin, um ihr Volk von dem Belagerer zu befreien, oder ist, wie Hebbels Tiefenpsychologie nahe legt, ein versteckter Sadomasochismus mit im Spiel, der die Frau gewissermaßen als überlegenes Opfer vorführt.
Mit Judiths in diese Richtung weisenden Traum beginnt die Aufführung – auf einem hohen Wellblech-Container hockt Marta Malikowska-Szymkiewicz, gespannt in direkter Ansprache zum Publikum, und setzt so, zusammen mit dem wunderbaren, elektronisch verstärkten Fagott von Edyta Moroz in der Komposition von Dominik Strycharski, den Grundton der Inszenierung. In der klaren, vorwärts drängenden Art von Klemms Regie.
Holofernes (Arkadiusz Buszko) tritt in schwarzer Uniform auf und hat Ornamente auf den Kahlschädel tätowiert, die sein martialisches Wesen sofort augenfällig machen. Keine Frage, so einer tyrannisiert auch die nächsten Untergebenen und fängt mit Judith eine Art Spiel an, das neben der Unterwerfung auch auf die Demütigung ihrer Religion aus ist. Etwa wenn ihrer als – ebenbürtige Partnerin angelegte – Dienerin Mirza (Maria Dabrowska) Seiten aus einer heiligen Schrift in den Mund gestopft werden.
Insofern strafft die knapp zweistündige Inszenierung die innere Psychologie im Spiegel eines äußerlichen und dabei die gesamte Gemeinschaft der Hebräer bedrohenden Konflikts. Das Personal des Volks ist auf fünf Mann reduziert, die über weite Strecken in einer Choreografie der Verängstigung mit schüttelnden Armen und mechanischen Drehungen agieren – ein weiteres von Klemms Mitteln der Dynamisierung des Stoffes.
Am Ende, nachdem die Tötung des Holofernes durch Judith mit einem Eimer voll dünnem Blut an der Innenwand des Containers vollzogen ist, öffnet sich die Publikumsdirektheit um eine weitere Ebene – bei eingeschaltetem Saallicht fordert Judith die Zuschauer auf, sie zu töten, um keinen Sohn des Holofernes gebären zu müssen. Aus der vielleicht nur scheinbar patriotischen Tat ist eine Frage erwachsen, die niemand mehr glücklich lösen wird.
Auf deutsche Arbeiten von Wojtek Klemm darf man gespannt sein.
Wir behalten den Überblick!
Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!