Gaffer vor dem Fenster
Andreas Kriegenburg inszenierte »Tosca« in Frankfurt am Main – glänzend am Pult: Kirill Petrenko
Anscheinend darf Puccinis »Tosca« auf dem Opernspielplan nicht fehlen. Seit ihrer Uraufführung am Beginn des vorigen Jahrhunderts herrscht in dieser Frage ein übergreifendes Einverständnis zwischen Intendanten, Künstlern und Publikum. Leidenschaftliche Liebe (auch zur Freiheit), ein veritabler Erzschurke (hauptberuflich Unterdrücker und aus Neigung auch noch potenzieller Vergewaltiger), eine Portion sakraler Budenzauber, eine Folterszene, eine Tötung in Notwehr, die jeder billigen kann, eine Scheinhinrichtung, die dann doch echt ist und ein finaler selbstmörderischer Sprung von der Engelsburg, dazu ein Puccini in Hochform – damit kann man gar nichts falsch machen. Das spielt sich quasi von selbst.
Szenisch kann man eigentlich nur versuchen, es möglichst »richtig« zu machen, indem man aus einer heutigen Perspektive in die Psychologie der Figuren einzudringen versucht oder das Exempel der Gewaltherrschaft als Vorlage benutzt, um auf deren immer noch bestehenden Erscheinungsformen zu verweisen. Dafür ist ein Regisseur wie der schauspielerfahrende Andreas Kriegenburg eine gute Wahl.
Musikalisch kann man allenfalls mit einem unvoreingenommenen Sezierblick unverdrossen nach dem großen musikalischen Kunstwerk unter den Patina-Ablagerungen des Opernhits suchen. Wofür Kirill Petrenko genau der Richtige ist. Jetzt wurde der sympathische Russe für einen fulminanten Puccini mit dem Frankfurter Opern- und Museumsorchester bejubelt.
Nicht, dass man irgendeinen Zweifel daran gehabt hätte, dass Petrenko auch aus der »Tosca« etwas Besonderes machen würde. Aber dass er die innere Dynamik dieser überstrapazierten Musik so dramatisch aufgeladen und dabei noch aufs letzte kammermusikalische Detail versessen zur Aufführung bringen würde, war schlicht überwältigend.
Diese Faszination konnten die Protagonisten zwar nicht überbieten, aber imponierend war es gleichwohl, wie der (allzu beiläufig und steif agierende) Aleksandrs Antonenko seinen Cavaradossi schmettert und stimmlich auch feinzeichnet, wie Erika Sunnegårdh ohne hochdramatischen Überdruck ihre Tosca aufblühen lässt und wie selbst der etwas stimmfahle Jason Howard seinen Scarpia zumindest darstellerisch zum Gewaltmenschen macht.
Das Bühnenbild, das diesmal nicht der Regisseur selbst, sondern Harald Thor entworfen hat, nimmt sich zunächst demonstrativ zurück. Gespielt wird zu Beginn vor einer Furnierwand mit einem modernen Kirchenfenster-Kreuz, die zugleich Leinwand für eine Madonna-Projektion wird. Für den Auftritt Toscas kippt sie in voller Größe und mit Wucht nach hinten. Diese Wand wird später als Decke über dem Raum schweben und immer mal wieder abgesenkt, um den Blick auf das Zimmer freizugeben, in dem Scarpias Gehilfen Cavaradossi sichtbar fürs Publikum foltern.
Freilich geht das angedeutete Waterboarding in seiner Wirkung nicht über die Bilder im Kopf der Zuschauer hinaus, die allein durch die Schreie entstehen würden oder über rotes Theaterblut auf weißen Hemden. Auch wenn sich der Hirtenknabe, der zu Beginn des letzten Aktes in einem weißen Anzug mit einer weißen Perücke wie surreal durch eine eingefrorene, mit Holzsärgen ausgestattete Gefängnishofszene bewegt und mit dem Blut Erschossener beschmiert, wirkt das seltsam zurückgenommen.
Unverständlich bleibt, wieso eine Masse von Gaffern in das Zimmer Scarpias glotzt, während der mit Hörstöpseln im Ohr und Beinen auf dem Tisch auf Tosca wartet. Erstaunlich, dass ein sonst so erfindungsreicher Bilderregisseur wie Kriegenburg auf solche modernistischen Taschenspielertricks ohne erkennbaren Sinn verfällt.
Kriegenburgs Personenregie ist zwar recht detailgenau und sängerfreundlich, sprich rampennah, doch würde das alles auch in einer historisierenden Inszenierung ohne Weiteres funktionieren. Gemessen an seinen bisherigen Arbeiten für die Opernbühne fällt diese »Tosca« deutlich ab. Etwas mehr konzeptionelle Frische und interpretatorische Frechheit hätte man sich gewünscht, um Petrenkos musikalischem Jungbrunnen ein passendes szenisches Gegenstück zu verschaffen.
Nächste Vorstellung am 23. 1.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.