Prägend

Für »die Zglinicki«

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 2 Min.

Sie spielt bald vierzig Jahre am Deutschen Theater Berlin. Leben also auf einem Olymp – der zu den Erfindungsorten einer besonderen Zeit gehörte: Es ist die Zeit eines Beruhigtseins (gewesen), das aber nicht gleichzusetzen wäre mit lähmender Gewohnheit und also eines bedenklichen künstlerischen Gleichmuts. Es ist die Zeit einer kreativen Ortssicherheit (gewesen), die doch Ausweitung bedeutete. Entwicklung, das hieß: sich beständig verwickeln zu dürfen ins Abenteuer einer Bühnenkunst, die im geistig karg ausgestatteten öffentlichen Raum der DDR vibrieren und Spannung erzeugen durfte.

Simone von Zglinicki, 1951 in Karl-Marx-Stadt geboren, studierte an der Leipziger Theaterhochschule »Hans Otto«. Eines Tages prangte das scheufreche Mädchengesicht, Aufsehen schaffend, vom DEFA-Filmplakat: »Für die Liebe noch zu mager?«, Regie: Bernhard Stephan. Das furiose frisch-freudige Debüt.

Schon seltsam berührend, wie über solcher Erinnerung die Wahrheit aufscheint, aufleuchtet – das Licht dieses Scheins ist durchwebt von allen Spektralfarben: wie also ein Leben aufgeht, geht, vergeht, ins Wesentliche geht, an die Arbeit geht, in der Arbeit und anderem aufgeht, zu Herzen geht. Und also: dem Theaterzuschauer durchs Gedächtnis geht. Simone von Zglinicki steht für Kraft und Könnerschaft der DT-Tradition, Stückfiguren durchgängig als Haupt-Rollen zu sehen, auch wenn es nicht immer Hauptrollen sind. Mag diese Schauspielerin nicht vordergründig viele große Parts gespielt haben, sie wurde »die Zglinicki«. Eine Erkennbare. Eine Prägende.

Ich denke an Alexander Langs »Sommernachtstraum«, an ihre Nina in Tschechows »Möwe« (Regie: Wolfgang Heinz), an Thomas Langhoffs berühmte »Gespenster« – Zglinicki als spitzbübisch-liebliche Regine, ein Keim verwirrten Lebens inmitten eines Todestanzes, der in grausigen Furor gerät. Mit Ulrich Mühe, Kurt Böwe, Dietrich Körner, Inge Keller. Mit der Keller und Margit Bendokat spielte sie später, in der Regie von Konstanze Lauterbach, Jean Genets »Zofen«: Sie war die Dienerin Claire, in ihren Augen ein Schrecken, der das Gesicht überwuchs.

Ihre Kindlichkeit feiert im Mütterlichen ein schönes Überlebensfest; naives Staunen ist wachgeblieben im Gemüt der Erfahrenen. Simone von Zglinicki adelt Bedächtigkeiten, versieht das Ernsthafte mit trockenem Witz, und noch das unscheinbarste Wesen erhält in ihrem Spiel sofort, ohne dass überdrehte Bewegung nötig wäre, eine Kontur. Sie hat einen aufmüpfigen Witz, sie kann das Gedemütigte spielen wie den herrscherlichen Aufputz. Im Kalten schlagen Herzreste, die Wärme lässt immer auch andere Temperaturen ahnen.

Am Sonnabend wird sie sechzig.

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