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Freiheitshelden?
Der Rechtsstaat und die Serienmörder
Der tragische Fall, über den in diesem Buch berichtet wird, ist unglaublich, liegt außerhalb jeglicher Vorstellungskraft. Denn nach dem Willen des Rechtsstaates sind nicht die Mörder, sondern die Ermordeten schuldig. Um das Geschehene einigermaßen verstehen zu können, hier die ungeheuerlichen Fakten, die der Autor akribisch zusammengetragen hat.
Am 13. September 1951 begann in der CSSR eine unfassbare Mordserie, die auf die Kappe der Brüder Josef und Ctirad Mašin und deren Bande ging. Um an Waffen zu kommen, mit denen sie sich buchstäblich den Weg ins »Mutterland der Freiheit«, in die USA, freischießen wollten, überfielen sie Polizeistationen. Ihr erstes Mordopfer, ein tschechischer Polizist, war zunächst mit einem Wasserrohr niedergeschlagen und dann erschossen worden, dem zweiten Mordopfer wurde mit einem Fahrtenmesser die Kehle durchgeschnitten. Für ihre Reise in die »Neue Welt« brauchten die Verbrecher auch Geld. Das beschafften sie sich durch einen Überfall auf einen Geldtransporter; auch dabei wurde ein Mensch erschossen. Nach weiteren Untaten, u. a. Brandstiftung, brach die Bande am 3. Oktober 1953 auf, um via die DDR nach Westberlin zu gelangen. Auf dem Bahnhof Uckro im Süden Brandenburgs gerieten sie in eine Polizeikontrolle. Es kam zum Schusswechsel. Drei der fünf Banditen schafften es bis Westberlin: Josef und Ctirad Mašin sowie Milan Paumer. Zuvor hatten sie noch zwei Volkspolizisten heimtückisch, durch Schüsse in den Rücken (Mordmerkmal!), getötet – das fünfte und sechste Mordopfer.
Die Mašin-Brüder und Paumer wurden in den USA von der antikommunistische Propaganda als Helden im Kampf für Recht und Freiheit hoch dekoriert. Ein Auslieferungsersuchen Prags wurde mit der Begründung abgelehnt, die beanstandeten Delikte seien politischer Natur gewesen.
Nach der »samtene Revolution« begann der eigentliche Siegeszug der Mašins. 1991 reisten die Mördern mit ihren Enkeln an ihre einstigen Mordstätten. Im Februar 2008 ehrte sie der tschechische Regierungschef Mirek Topolanek während eines USA-Besuchs. Drei Jahre zuvor waren die Mörder in Kanada von der Vereinigung der Exiltschechen mit dem »Masaryk-Preis« ausgezeichnet worden.
Und die Strafverfolger in der Bundesrepublik? Eine Anwältin hatte im Auftrag von Angehörigen der Opfer Strafanzeige erstattet, weil Mord ja nicht verjährt. Die Staatsanwaltschaft Cottbus wies 2001 dies zurück. Auch die nächste Instanz des Rechtsstaats befand, »dass es an hinreichend sicheren Anhaltspunkten für Mordmerkmale fehlt«. Und die ARD drehte, um das Maß voll zu machen, eine Dokumentation über die »Freiheitshelden«, die »Vopos abknallten«. Zu erwähnen wäre noch, dass bei einer Veranstaltung in der tschechischen Botschaft in Berlin Markus Meckel einen der Mörder, Josef Mašin, herzlich willkommen hieß.
Ehrung und Podium für Mörder hat Tradition in Deutschland. Klaus Huhn erinnert an Waldemar Pabst, der die Morde an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht befahl und am 29. Mai 1970 unbehelligt und in Ehren entschlief. Am 15. Januar 1962 hatte Pabst bekannt: »Man musste den Entschluss fassen, vom Rechtsstandpunkt abzuweichen.« Die Bundesregierung billigte in einem Bulletin am 8. Februar 1962 das Verbrechen von 1919, in dem sie es in eine »standrechtliche Erschießung« umfälschte.
Klaus Huhn: Mörder sind unter uns. Spotless, Berlin. 95 S., br., 5,95 €.
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