Zu einer anderen Gesellschaft

Einst erleichterte Enric Duran spanische Banken, nun druckt er in der katalanischen Kooperative eigenes Geld

Der Euro ist in der Krise, Regiogeld boomt. Mit den regionalen Zahlungsmitteln können Bürgerinnen und Bürger bei allen teilnehmenden Gewerbetreibenden Leistungen einkaufen. Die Geldeigenschaften regen die Geldzirkulation an und stärken Strukturen vor Ort. In Deutschland verstehen sich als Ergänzung zu Euro und Marktwirtschaft; die katalanische Kooperative dagegen möchte damit ganz neue Wege gehen.
Der Globalisierungskritiker Enric Duran ist Mitgründer der »Cooperativa Integral Catalana«. Mit der eigenen Währung »ECOcoop« können Lebensmittel aus der Region, aber auch - wie in Tauschringen - Dienstleistungen anderer Kooperativenmitglieder preiswert erworben werden.
cooperativa.ecoxarxes.cat
Der Globalisierungskritiker Enric Duran ist Mitgründer der »Cooperativa Integral Catalana«. Mit der eigenen Währung »ECOcoop« können Lebensmittel aus der Region, aber auch - wie in Tauschringen - Dienstleistungen anderer Kooperativenmitglieder preiswert erworben werden. cooperativa.ecoxarxes.cat

Geschichte hat Enric Duran bereits geschrieben: Der 35-jährige Katalane war der erste spanische Staatsbürger, der wegen Kreditschulden im März 2009 in Untersuchungshaft landete. Der Grund: Er hatte mit fingierten Unterlagen 39 Banken und Kaufhäuser erleichtert, um mit den daraus erhaltenen 492 000 Euro kleine, finanzschwache linke Projekte zu unterstützen. Längst ist er gegen Kaution und ohne Reisepass wieder auf freiem Fuß. Dem noch nicht terminierten Verfahren sieht er mit Gelassenheit entgegen. Derweil arbeitet er seit dem Frühjahr 2010 am Aufbau der Cooperativa Integral Catalana (CIC), in der die Geldbeziehungen Schritt für Schritt durch freiwillige soziale Vereinbarungen ersetzt werden sollen. Ein Anfang ist gemacht, rund 2000 Menschen sind bereits integriert - die tiefe Wirtschaftskrise Spaniens beflügelt die Initiative.

Enric Duran zu treffen, ist im Prinzip kein Problem. Es muss nur eine Lücke im dicht gedrängten Terminplan des viel beschäftigten Globalisierungskritikers gefunden werden. Um drei Uhr an einem Samstagmorgen schickt er die E-Mail, mit der er das am selben Tag für zwölf Uhr vorgesehene Treffen um vier Stunden nach hinten schiebt. Treffpunkt: Die Räume der Cooperativa Integral Catalana, der integrierten, katalanischen Kooperative am Plaza del Sol im Stadtteil Gracia in Barcelona. E-Mails um drei Uhr in der Nacht zu schreiben ist für Duran die Regel. Jeweils vor dem Schlafengehen checkt er die elektronische Post ein letztes Mal und versendet dringliche Antworten. Mit hoher Leidenschaft und hoher Leistungsbereitschaft arbeitet der Katalane am Traum von einer anderen Gesellschaft. »Die Energie, die ich früher in den Sport gesteckt habe, fließt jetzt in die politische Arbeit«, erzählt er und begründet seine Fähigkeit, mit meist nur fünf Stunden Schlaf auszukommen, mit seiner sportlichen Vergangenheit, die seinen Körper und Geist an hohe Belastungen gewöhnt hätte. Als Fünfjähriger begann er mit dem Schachspiel und brachte es zum katalanischen Schülermeister. Später widmete er sich leidenschaftlich dem Tischtennis.

Sich den Regeln des Marktes verweigern

Die Welt des Sports wurde ihm bald zu klein. Er zog von seiner Heimatstadt Vilanova, 40 Kilometer vor den Toren Barcelonas, rund 60 000 Einwohner, nach Barcelona, war Mitgründer des Infoladens Infoespai, der nur wenige Meter von der CIC entfernt liegt, beteiligte sich an Schuldenerlasskampagnen für die Dritte Welt und setzte dann zum großen Coup an: Ende August 2005 startet Duran seinen kalkulierten Bankenraub: Mit 6000 Euro Startkapital als Kredit von einem ahnungslosen Verwandten legte er los und setzte eine Kreditspirale in Gang. Von kleinen Konsumkrediten bis hin zu einer Hypothek - 68 Kreditlinien bei 39 Finanzinstitutionen über insgesamt 492 000 Euro wurden bewilligt. Bereitwillig, weil sie davon leben, Darlehen zu verkaufen und diese im Zweifelsfall mithilfe der Staatsgewalt wieder einzutreiben.

Mit frischem Geld aus neuen Krediten zahlte Duran anfangs die ersten Raten der alten Kredite. Nach einigen Monaten stellte er die Zahlung dann ein.

»Die Lawine wurde immer größer«, berichtet Duran. Im September 2008 beschloss er schließlich, alles Geld abzuheben, umzuverteilen und »die Aktion«, wie er es nennt, öffentlich zu machen. Das Geld floss in soziale Projekte sowie in die Herausgabe von Publikationen wie »Podem!«, die im März 2009 mit einer Auflage von 450 000 kostenlos verteilt wurde. »Podem« heißt auf katalanisch »wir können«. In der Zeitung skizzierte Duran seine Vision: Wir können »ohne Banken, ohne Multis, ohne Geld, ohne politische Klasse«, kurzum: »ohne Kapitalismus leben«. Folgenlos blieb der Bankraub der anderen Art nicht. Nach seiner Verhaftung Mitte März 2009 saß Duran gut zwei Monate in Untersuchungshaft, bevor er auf Kaution freigelassen wurde. »Das war eigentlich eine schöne Zeit«, erinnert er sich. »Da mein Fall Schlagzeilen gemacht hatte, wurde ich vom Gefängnispersonal korrekt behandelt und ich hatte jede Menge Zeit, um Bücher zu studieren.«

Seit Frühjahr 2010 ist es die Cooperativa Integral Catalana, der sein Hauptaugenmerk und seine Energie gilt. Die zentrale Zielsetzung: Zwischen Personen und sozialen Unternehmen ein Netzwerk von kooperativen und sozialen Wirtschaftsbeziehungen zu schaffen, das sich den Marktregeln und staatlicher Kontrolle verweigert.

Der Name ist mit Bedacht gewählt: Cooperativa, weil es sich um die Rechtsform einer Kooperative handelt, in der jedes Mitglied gleichberechtigt ist und an der wirtschaftlichen und politischen Selbstverwaltung teilnimmt. Integral steht für den ganzheitlichen Ansatz, die Ebenen von Produktion, Konsum, Finanzierung und unterschiedlicher Formen selbst geschaffener sozialer Währungen zu verbinden. Integral steht außerdem dafür, dass alle lebensnotwendigen Tätigkeiten unter dem Kooperativendach vereint sind. Katalanisch bezieht sich darauf, dass sich die Kooperative in ihrer geografischen Ausdehnung nicht über Katalonien hinaus erstreckt, zumal ohnehin das Subsidiaritätsprinzip hochgehalten wird: Was lokal erzeugt und besorgt werden kann, wird lokal erzeugt und beschafft, um regionale Kreisläufe zu stärken. Dennoch muss niemand auf Kaffee verzichten - der findet sich als Bioimportware auch im Laden der Kooperative.

Der kleine Laden in Gracia ist eine der ökonomischen Bausteine der CIC. Dort können Mitglieder preiswert hochwertige Lebensmittel zumeist aus der Region erwerben, von Produzenten, häufig Landkooperativen, die bereit sind, zehn Prozent des Erlöses in ECOcoop zu akzeptieren, der hauptsächlichen sozialen Währung der Kooperative. Dabei handelt es sich um virtuelles Buchgeld, das nicht in Euro getauscht werden kann, sondern für das es Gegenleistungen im Rahmen des Angebots der CIC gibt: Das können zum Beispiel physiotherapeutische, juristische oder medizinische Leistungen von Kooperativen-Mitgliedern sein. Dadurch, dass die Lieferbeziehungen direkt sind - ohne einen profitorientierten Zwischenhandel - kommen für die Konsumenten und Produzenten Preise zustande, die für erstere unter beziehungsweise für letztere über dem marktüblichen Preis lägen, erklärt Duran eine monetäre Motivation zur Teilnahme an dem Projekt. Das Grundanliegen sei freilich, gerechte Beziehungen zwischen Produzenten und Konsumenten zu schaffen. Dementsprechend sollen sich die Preise an den Kosten und Notwendigkeiten der Produzenten orientieren, die wiederum ihre Produktpalette an den Bedürfnissen der Konsumenten ausrichten. Die Kooperative als Dienstleister informiert die Produzenten über die Wünsche der Konsumenten und organisiert zudem den kostensparenden kollektiven Einkauf, wofür sie drei Prozent Provision erhält.

Die gesellschaftliche Alternative leben

Auch wenn das langfristige Ziel darin besteht, den Kapitalismus und die Geldwirtschaft zu überwinden, mithin Geld auf seine Funktion als reines Tauschmittel zu reduzieren, führt kurz- und mittelfristig noch kein Weg am Euro vorbei. Auch die Mitgliedsbeiträge, die von sechs Euro für ein Normalmitglied bis hin zu mindestens 25 Euro für die sogenannten autonomen Mitglieder reichen, die ein Teil ihrer Produktion oder Dienstleistung auch auf dem »freien Markt« feilbieten, werden in der Regel in Euro gezahlt, wofür es allerdings den entsprechenden Gegenwert in ECOcoops zum Bezug von Kooperativenleistungen gibt. Leistungen und Gegenleistungen verrechnet werden innerhalb der CIC, der auch viele Tauschringe angehören, mit dem computerbasierten sogenannten Community Exchange System (CES). Dies ist ein globales Netzwerk von sozialen oder sogenannten Komplementärwährungen. Das Konto bei der CES gibt den Teilnehmern den Zugang zu einem nach Kategorien sortierten Markt, wo sie selbst Güter und Dienstleistungen anbieten oder dort hinterlegte Angebote nachfragen können - alles ohne reales Geld.

Der Anspruch der Cooperativa Integral Catalana, Theorie und Praxis zu verbinden, findet offensichtlich Anklang. Rund 1500 Menschen seien in der CIC aktiv - entweder als Einzelpersonen oder über die Mitgliedschaft in Kollektiven wie Stadtteilgruppen, Tauschringen oder einer Transportkooperative. »Es ist eine immense Arbeit, das ganze Miteinander zu organisieren«, erzählt Duran. Die CIC wächst und wächst, und neue Mitglieder müssen in Aufgaben eingewiesen und eingearbeitet werden, was bisher Duran und einer Handvoll besonders rühriger Mitstreiter obliegt. Dass im Falle eines Prozesses und einer Verurteilung wegen Bankenraubs die CIC ohne den unermüdlichen Antreiber zusammenbricht, glaubt er freilich nicht: »Ich bin nicht der Einzige, der hier viel arbeitet. Jeder ist ersetzbar und so sind unsere Strukturen auch angelegt. Unsere Kapazität, Einzelne zu ersetzen, wächst im Verlauf«, sagt er optimistisch, wobei er ohnehin nicht davon ausgeht, dass die Justiz ihn alsbald mit einem Verfahren belangen wird. Säumige Hypothekenschuldner gibt es im krisengeschüttelten Spanien wie Sand am Meer und auf einen Prozess mit politischem Charakter dürfte Regierung und Judikative wenig erpicht sein.

Ohne Zweifel hat die tiefe Wirtschaftskrise in Spanien auch die CIC beflügelt: Die Möglichkeit Euro zu sparen, die Möglichkeit, durch gemeinnütziges Arbeiten ECOcoops zu erwerben, ist gerade in solchen Zeiten auch eine Motivation für Menschen, die sich bis dato weniger mit gesellschaftlichen Alternativen auseinandergesetzt haben. Durans Motivation freilich liegt darin, den Übergang zu einer anderen Gesellschaft zu organisieren. Ihm ging und geht es immer um das System als Ganzes. Die Cooperativa Integral Catalana ist dabei nur eine weitere Etappe.

Fest der katalanischen Kooperative anlässlich der Einweihung des offenen Hauses »Casa popular« bei Barcelona.
Fest der katalanischen Kooperative anlässlich der Einweihung des offenen Hauses »Casa popular« bei Barcelona.
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