Anleihemärkte laufen völlig aus dem Ruder
Finanzkrise hat Staaten in Kerneuropa erreicht / EU-Kommission will Eurobonds-Einführung vorantreiben
In Madrid ist heute wieder eine Zitterpartie angesagt. Die Regierung möchte zehnjährige Staatsanleihen im Umfang von drei bis vier Milliarden Euro platzieren. Ob dies gelingen wird, ist genauso ungewiss wie die Höhe des Zinssatzes, der Investoren geboten werden muss. Sicher ist jedoch, dass dieser extrem hoch sein wird - vermutlich über sechs Prozent -, was dem spanischen Staat richtig wehtut: Dies belastet den ohnehin klammen Haushalt auf lange Sicht. Seit Monaten schrammt Madrid am Rande eines Hilfsgesuchs an den Euro-Rettungsfonds EFSF entlang. Am Dienstag waren die Zinsen in die Nähe des bisherigen Rekordwerts von Juli 2011 geklettert. Dabei zieht die Regierung genau das durch, was die Euro-Krisenmanager als Lösungsweg empfehlen: massive Sparprogramme. Doch diese verschärfen das spanische Hauptproblem, die anhaltende Wirtschaftsflaute im Gefolge der geplatzten Immobilienblase.
Bestnote schützt vor Spekulation nicht
Eigentlich sollte der letzte EU-Gipfel, auf dem die Ausweitung des EFSF mittels verschiedener Hebelkonstrukte beschlossen wurde, die Lage beruhigen und die Ansteckung weiterer Staaten verhindern. Das Gegenteil ist der Fall: Am Dienstag gerieten nicht nur die üblichen Sorgenkinder Spanien und Italien ins Visier der Märkte, sondern auch Länder wie Österreich, Belgien, die Niederlande, Finnland und Frankreich, obwohl diese allesamt die Rating-Bestnote aufweisen können. »Die Schuldenkrise greift auf Kerneuropa über«, kommentierten die Analysten der HSH Nordbank.
Am Mittwoch setzte eine leichte Gegenbewegung ein, vermutlich auch, weil die Europäische Zen-tralbank (EZB) erneut mit Anleihekäufen in den Markt eingriff. Gleichzeitig vermeldete aber das Euroland Slowenien einen Anstieg der Renditen zehnjähriger Papiere auf über sieben Prozent - einer Marke also, bei der Griechenland, Irland und Portugal unter den Rettungsschirm geschlüpft waren. Auch wenn etwa Frankreich und Österreich noch weit unter der kritischen Grenze liegen, müssen sie bei der Ausgabe neuer Staatsanleihen schon doppelt so hohe Zinsen bieten wie Deutschland.
Mittlerweile hat fast der gesamte Euroraum mit spürbar steigenden Kreditzinsen zu kämpfen, und das in einer Zeit wirtschaftlicher Stagnation, wo nach der Logik des Marktes eigentlich sinkende Zinssätze zu erwarten wären. Tatsächlich aber ist ein Teufelskreis entstanden: Die allgemeine Verunsicherung der Investoren sorgt für steigende Zinsen, welche die Schuldensituation verschärfen, was was wiederum die Verunsicherung noch verstärkt.
Fatale Signale vom CDU-Parteitag
Eindeutig sind die Anleihenmärkte völlig aus dem Ruder gelaufen. Geradezu fahrlässig ist daher die Forderung monetaristischer Ökonomen etwa aus der Bundesbank, die Politik solle sich endlich aus dem Geschehen heraushalten, damit die Märkte ihre Sanktionierungsfunktion bei unseriös wirtschaftenden Regierungen übernehmen kann. Dies würde unweigerlich zu einem Auseinanderbrechen der Eurozone führen. Indes findet diese Position in der Bundesregierung immer mehr Anklang, wie der jüngste CDU-Parteitag zeigte. In Brüssel stellt man sich dem entgegen: EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso versucht, die insbesondere von Deutschland bisher blockierte Einführung von Eurobonds voranzutreiben. Kommende Woche will er dazu ein Vorschlagspapier präsentieren. Allerdings ist es dafür eigentlich schon zu spät: Da die Finanzmarktkrise weite Teile der Eurozone erfasst hat, würden auch für diese Gemeinschaftsanleihen relativ hohe Zinsen verlangt werden.
Im Prinzip kann die Lage nur noch mit geldpolitischen Maßnahmen stabilisiert werden. »Allein die EZB hat die Kapazitäten, um durch Aufkäufe von Staatsanleihen untragbare Zinsausschläge auf den Finanzmärkten zu verhindern«, meint Silke Tober, Expertin des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung. Bislang habe die EZB wegen der fehlenden Rückendeckung der Mitgliedstaaten nur halbherzig agiert.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.