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Das Meißner Schwanenservice lag bei uns im Keller

Wolfgang Richter über seinen langen Weg zum ND-Sportreporter

  • Heidi Diehl
  • Lesedauer: 3 Min.

Manchmal bedarf es eines Anstoßes von außen, dass einer sein Leben zu Papier bringt. Bei Wolfgang Richter – jahrzehntelang Sportredakteur beim »nd« – war es ein Dokumentarfilm über das verschollene Meißner Schwanenservice, das in seiner Bedeutung dem ebenso in den Kriegswirren verschwundenen Bernsteinzimmer gleichkommt. Wolfgang Richter hat es gesehen, nicht nur einmal. Als Junge im Keller von Schloss Pförten, wohin der Achtjährige mit seinen Eltern und Geschwistern 1943 umsiedelte, als die Bomben seiner Heimatstadt Berlin immer näher kamen.

In einem Seitenflügel des Schlosses Pförten – heute heißt der etwa zehn Kilometer von Forst entfernt liegende Ort Brody und gehört zu Polen – findet die Familie ein neues Zuhause und die drei Richter-Kinder eine Idylle auf Zeit. Das 2200 Teile umfassende Service gehörte der Schlossbesitzerfamilie von Brühl, für deren Vorfahren es vor etwa 250 Jahren angefertigt wurde.

Doch das Kinderparadies Pförten ist nicht von Dauer, der Krieg und seine Folgen zerstören es. Die Deutschen müssen 1945 den Ort verlassen, Richters wollen zurück nach Berlin, doch die Stadt ist zerstört. Weiter geht's zu Fuß immer nordwärts – bis nach Dallmin in der Westprignitz. Hier beginnt Wolfgang Richters Leben ohne Angst und Bomben, hier wird er zu einem richtigen Dorfjungen, hat seine Clique, gerät zunehmend mit den Ansichten der Alten in Konflikt, insbesondere mit denen seines strengen Vaters. Er darf nicht Fußball spielen, nicht zur Tanzstunde, muss sich beim Friseur den modischen Rundschnitt abschneiden lassen. Vor allem aber verbietet ihm der Vater, in die FDJ einzutreten. Wolfgang erlebt, wie im Dorf die LPG gegründet wird und wird nach der Schulzeit Tischler. Das Schicksal nimmt seinen Lauf in Form eines Schreibens der Berufsschule, das ihn zum Besuch der Arbeiter- und Bauern-Fakultät (ABF) vorschlägt. Das bedeutet Abschied von der Kindheit, doch auch endlich Abnabelung vom Vater.

In Weimar macht Wolfgang Richter sein Abitur und beginnt ein Architekturstudium, das er gründlich vergeigt. Gern wäre der Naturliebhaber Förster geworden, stattdessen findet er sich unter Tage bei der Wismut wieder. Dort lockte vor allem das Geld. Seine Leidenschaft für Volleyball führt ihn wieder über Tage, ins Zwickauer Automobilwerk, wo sich Sport und Arbeit besser miteinander vereinbaren lassen. Hier schreibt er erste Sportberichte als Volkskorrespondent.

Doch das zum Beruf zu machen, kommt ihm nicht in den Sinn, stattdessen bewirbt er sich 1957 freiwillig bei der NVA, um Politoffizier zu werden. Ein Augenleiden macht der Karriere ein Ende. Zum Glück sucht die ND-Druckerei da gerade einen FDJ-Sekretär. Jetzt endlich führt der Lebensweg geradeaus: Wolfgang Richter wird zum Journalistikstudium nach Leipzig delegiert, danach findet er beim »nd« bis zur Rente seine berufliche Heimat.

Ohne das Schwanenservice würde ich nur den Sportredakteur kennen, so aber weiß ich nun mehr über einen Kollegen und gewissermaßen über eine ganze Generation von DDR-Bürgern.

Wolfgang Richter »Holpriger Weg ins Leben«, Nora Verlag, Berlin, 104 S., br. 11 €

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