Herr Schäuble, stoppen Sie PPP!

Attac und Gemeingut in BürgerInnenhand fordern den Ausstieg aus öffentlich-privaten Partnerschaften

Privatisierungskritiker ziehen nach zwölf Jahren ein vernichtendes Fazit von PPP-Projekten und wollen mit einer Kampagne ein Umdenken der öffentlichen Hand erreichen.

Es gilt als eines der Vorzeigeprojekte der »Public Private Partnership« (Öffentlich-Privaten Partnerschaft, PPP): Im Zeitraum 2005 bis 2020 werden alle 90 Schulen des hessischen Landkreises Offenbach von den Baukonzernen Hochtief und Vinci saniert. Diese erhalten im Gegenzug Mietzahlungen von der Kommune. Zuvor konsultierte Beratungsunternehmen wie BBD und Ernst & Young bescheinigten dem Projekt, 18,5 Prozent günstiger zu sein als die Eigensanierung durch die Kommune. Die Realität freilich sieht anders aus: Die Anfangsmiete von jährlich 52 Millionen Euro stieg bereits bis zum Jahr 2010 auf 73 Millionen Euro. Insgesamt rechnet der PPP-Experte Werner Rügemer mit einem Anstieg der gesamten Mietsumme um 520 Millionen auf 1,3 Milliarden Euro. Der damalige Landrat Peter Walter (CDU) muss die fatalen Folgen seiner Entscheidung nicht mehr verantworten. Im Gegenteil, er macht heute als Vorsitzender des PPP-Vereins Hessen-Thüringen Lobbyarbeit für weitere Projekte dieser Art.

Die zwölfjährige PPP-Historie in Deutschland mit bislang rund 200 Projekten ist nach Ansicht von Privatisierungskritikern eine Geschichte des Scheiterns: von der Hamburger Elbphilharmonie über die Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe bis hin zum größten Projekt dieser Art, den Betrieb des Lkw-Maut-Systems Toll Collect durch die Telekom, Daimler und Cofiroute. »PPP hat nicht Fehler, PPP ist der Fehler«, meint Carl Waßmuth, Sprecher der Initiative Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB). Diese hat zusammen mit dem Netzwerk Attac pünktlich zum Start ins neue Jahr eine Kampagne gegen die Partnerschaften gestartet. Den Auftakt bildet ein Aufruf an Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) unter dem Motto »Stoppen Sie die Public Private Partnership!«, den interessierte Bürger bis Ende März unterzeichnen können.

Adressat ist nicht zufällig die Bundesregierung: Seit SPD-Kanzler Gerhard Schröder forcieren die Regierungen in Berlin solche Projekte. Eine vom Bund gegründete ÖPP Deutschland AG wirbt bundesweit dafür. Landesregierungen üben oft Druck auf ihre Kommunen aus. Besonders aktiv waren der frühere hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU), heute Chef des von diversen PPP-Projekten profitierenden Baukonzerns Bilfinger Berger, und Ex-NRW-Landesvater Peer Steinbrück (SPD). Städte- und Gemeindeverwaltungen, die sich die konventionelle Eigenfinanzierung aufgrund ihrer Finanzlage nicht mehr leisten können, werden PPP-Projekte als angeblich günstigere Variante angetragen. Kommunalvertreter, zitiert Werner Rügemer aus Vieraugensprächen, hätten ihm aber bestätigt, sie wüssten, dass ihr PPP-Projekt auf lange Sicht Nachteile habe, aber die Kommunalaufsicht würde nur dieses genehmigen.

Renate Sternatz, Leiterin des ver.di-Fachbereichs Gemeinden, spricht von einem systematischen Schönrechnen der Kosten von PPP-Projekten durch die Beratungsfirmen. Die Eigenfinanzierung durch die Kommune sei die günstigere Variante. Dabei kann die Gewerkschafterin auf die Landesrechnungshöfe verweisen, die erst vor wenigen Wochen bei der Untersuchung von PPP-Projekten im Hochbau zum selben Ergebnis kamen.

Der Aufruf findet sich im Internet unter www.gemeingut.org

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