Stets den verbrecherischen Anfang bedenken

Zum Tod von Fritz Teppich, der nie müde wurde, deutsche Schuld zu benennen

Am Samstag verstarb in Berlin der letzte noch lebende Spanien-Kämpfer Deutschlands: Fritz Teppich. Eine wichtige Stimme wird dem Land fehlen, das nicht fähig oder nicht willens ist, alten und neuen Nazis wirkungsvoll entgegenzutreten.
Fritz Teppich
Fritz Teppich

Seine regelmäßigen Anrufe, seine Besuche in der Redaktion, seine Leserbriefe, die er auch noch im hohen Alter persönlich ins Haus brachte, wird man vermissen. Es ist unvorstellbar, dass »Fritz« nun nicht mehr in dieser Welt ist, die er liebte und an der er viel zu beanstanden hatte. Fast bis zum letzten Atemzug mischte er sich ein, wenn Ungeheuerlichkeiten in dieser Republik anzuzeigen waren: die Schändung jüdischer Friedhöfe oder Gotteshäuser, geplante Aufmärsche der Neonazis oder der NPD, Kriegsbewilligungen im Deutschen Bundestag, Deindustrialisierung im Osten Deutschlands oder Sozialabbau. Bereits weit über Siebzig hat sich Fritz Teppich in Solidarität am Hungerstreik der Kali-Kumpel von Bischofferode beteiligt. Und zeitlebens konnte er sich nicht damit abfinden, dass das »Lied der Deutschen«, »das auch die Mörder meiner Mutter gesungen haben«, die deutsche Nationalhymne ist; er hatte für Brechts »Kinderhymne« votiert, als die Vereinigung die Chance bot, ein neues Hoheitslied der Deutschen zu küren.

Den deutsch-faschistischen Massenmord hat Fritz Teppich überlebt, weil seine Mutter so vorausschauend war, ihn 1933 nach Paris in die Kochlehre zu schicken. »Das ist schlimm, und das wird noch schlimmer«, lautete ihr Kommentar, als Hitler zum Reichskanzler ernannt wurde. Sich selbst und ihren jüngeren Sohn konnte sie nicht vor der Mordgier deutscher Antisemiten retten.

Die Kochlehre verdankte Fritz Teppich den Kempinskis. Seine ältere Schwester Mela hat den einzigen Sohn des Inhabers des über Deutschlands Grenzen hinaus berühmten Restaurant-, Delikatessen- und Hotelunternehmens geheiratet, das 1937 »arisiert« wurde. Fritz Teppich konnte sich lautstark über den »hitlerverwurzelten Hotelkonzern« erregen, der sich in Nachkriegsdeutschland und nach 1990 auch wieder in Berlins Mitte »mit dem Namen der Beraubten tarnt« und ungeniert und unberührt von blutiger Geschichte profitabelste Geschäfte macht. Jahrelang stritt er darum, dass wenigstens eine Tafel am Nobelhotel Unter den Linden angebracht wurde. Eine zaghafte Erinnerung daran, dass der systematischen Ermordung der Juden deren willkürliche Enteignung vorangegangen war. An mehrere Bundespräsidenten hatte er in der Sache geschrieben und stets nur abwiegelnde Antwortschreiben eines Mitarbeiters erhalten, wenn überhaupt. Für die von deutschen Judenhassern diskriminierten, ausgegrenzten, beraubten, erschossenen und vergasten Menschen finden bundesdeutsche Staatsoberhäupter nur in Reden Worte des Mitgefühls.

Geboren in der Revolution von 1918, am 26. November, wuchs der Sohn eines liberal gesinnten Engros-Kaufmanns wohlbehütet in einer Villa in Berlin-Westend auf, »abgeschirmt vom Nachkriegselend und abgeschieden von den Straßenkrawallen in Weimarer Zeit«. Das änderte sich, als er in die Schule kam; obwohl blond und »ziemlich germanisch aussehend«, wurde er als »Knoblauch-Jude« beschimpft. Fritz war im Kadimah, trat jedoch bald wieder aus, weil diese Kinderorganisation ihm zu zionistisch ausgerichtet war. Er schloss sich den Roten Pfadfindern an - und blieb ein »Roter«.

Als in Deutschland die Synagogen brannten, kämpfte er fernab auf der Iberischen Halbinsel, in Teruel, Barcelona und Madrid gegen spanische, deutsche und italienische Faschisten. Er erlebte, wie die heilige baskische Stadt Gernika unter der todsäenden Last der fliegenden »Condor«-Legionäre in Schutt und Asche versank. Fritz Teppich wurde nie müde zu betonen, dass den alliierten Bombenangriffen auf deutsche Städte deutscher Bombenterror gegen europäische Metropolen vorausgegangen war. Vor allem, als die Deutschen nach dem Fall der Berliner Mauer in die Opferrolle schlüpften - ermuntert durch eine gewendete, neuer deutscher Größe entsprechenden Geschichtspolitik und bestärkt durch in Revisionismus geübte Medien - mahnte er immer wieder an, den verbrecherischen Anfang, deutsche Schuld zu bedenken und wahrzunehmen: »Der Schoß ist fruchtbar noch.«

Nach der Niederlage der spanischen Volksfrontregierung floh der junge Offizier der Republikanischen Armee nach Frankreich, Belgien und schließlich nach Portugal, dem letzten Zufluchtsort tausender mittelloser deutscher Emigranten. Nach dem Krieg wieder in Berlin, im Westteil der Stadt, lebend, arbeitete er als Journalist. Die Integration der alten Nazis wie auch das Erstarken neuer Nazis prangerte er unbeirrt und unerschrocken in Artikeln und Reden an. Vor einigen Jahren gründete er in Potsdam einen Verein, der seinen Namen trägt und sich der Sammlung, Bewahrung und Veröffentlichung antifaschistischer Biografien verpflichtet fühlt.

Fritz Teppich war Mitglied des Vereins »Kämpfer und Freunde der Spanischen Republik 1936-1939«. Er hat keine offizielle Ehrung von der Bundesrepublik erfahren. Er hätte eine solche wohl auch abgelehnt - solange die Zustände hierzulande für einen Juden und Antifaschisten unhinnehmbar, unwirtlich und unanständig sind.

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