Ungezügelt sinnlicher Tanz
Kubas »Ballet Revolución« lässt den Berliner Admiralspalast fast explodieren
Klassisch beginnt der Abend im Admiralspalast. Eine Tänzerin auf Spitze wird von vier Männern gehoben und in Ballettmanier präsentiert. Doch kaum ist der Nebel unter den Lichtbündeln der Scheinwerfer verflogen, legt die Compagnie richtig los. »Ballet Revolución« heißt sie, existiert erst seit dem Sommer 2011 und verzaubert schon die Welt. Australien, wo auch die Uraufführung stattfand, gibt das Geld, Kuba die Tänzer und deren exorbitante Lebensfreude.
Um sie, pure Lebenslust, die im Tanz explodiert, geht es den Choreografen, dem weltweit aktiven Australier Aaron Cash sowie den daheim und in Südamerika umtriebigen Kubaner Roclan Gonzales Chavez, mit Vertrag beim TV-Ballett in Havanna. Wer für welche der 20 Choreografien des zweieinhalbstündigen Programms verantwortlich zeichnet, weisen die Unterlagen nicht aus. Alle aber schöpfen sie aus dem reichen tänzerischen Erbe der Insel: der Verschmelzung indianischer Wurzeln mit der Kultur schwarzer Sklaven aus Afrika und den Traditionen der spanischen Eroberer.
»Ballet Revolución« meint keinen Hymnus auf die Errungenschaften der politischen Revolution, sondern zielt auf eine künstlerische Revolution. Denn die Choreografien beziehen zusätzlich ein, wofür Kuba weltweit bewundert und auch angezapft wird: sein eminentes Niveau im klassisch-europäischen Tanz. Unbefangen würzen die Choreografen ihre Schöpfungen mit dem Spitzentanz des Balletts, beweisen das faire Nebeneinander der Stile, übergießen alles mit dem Musiksound unserer Zeit.
So geben die Hits von Beyoncé, Shakira, Jennifer Lopez, Enrique Iglesias, Ricky Martin, Usher bis hin zu Bob Marley, Sting und Prince die Klangfolie für ein eminentes Crossover der Künste. Das Publikum ist fasziniert von so viel Mut und der Energie. 18 junge Tänzer, davon nur sechs Frauen: Alle haben sie, ob von brauner oder weißer Haut, Tanzlava im Blut. Sie ist das Markenzeichen von »Ballet Revolución«.
Hat in Kuba fein säuberlich jeder Stil seine Compagnie, ist dieses Ensemble gleichsam alles in einem. Denn Grundlagen des Balletts erlernt in der Ausbildung jeder - Basis auch für die Kreationen von »Ballet Revolución«. Schon in »Cumbanchero«, dem lässig afrokubanischen Entree, mischen sich klassische Elemente unter; so bleibt es abendlang.
Enorm kraftvoll springen die Tänzer, werfen peitschend ihre Beine, brillieren mit Wirbelsprüngen des klassischen Repertoires. Die unermüdbare Beweglichkeit der gestählten Körper, ihre tigernde Geschmeidigkeit unterm Spiel farbigen Lichts reißen von den Sitzen, auch da, wo keine andere Geschichte erzählt wird als schlicht die vom überschäumenden Temperament kubanischen Lebens. Dort feiert sich das Virtuosentum von Tanzathleten einfach selbst, oft ausgemacht erotisch im Partnerspiel, indes ohne poetische Akzente.
Begegnungen der Geschlechter sind hier eher physischer Art. Bisweilen koexistieren Spitzentechnik und Barfußtanz gar mit HipHop. Iglesias' »Hero« zeigt an drei Paaren verschiedene Auffassungen von Liebe, in der die Männer am Ende allein bleiben oder bleiben wollen; zu Rodrigos »Concierto de Aranjuez« erleben zwei Paare akrobatisch körperliche Nähe.
Bei Mambo und Tango geraten nicht nur die Tänzer schier aus dem Häuschen, servieren zu »Purple Rain« von Prince, mit einem atemberaubend stählernen Solo von Moisés León Noriega, ein feuriges Finale der Superlative. Auch die Begleitband unter Bassist Osmar Salazar Hernandez samt dem Sängerpaar und, nicht zuletzt, Jorge Gonzalez' muskelnah knappe Kostüme meist in Schwarz, bisweilen mit Glitzereffekt - alle sind in den Premierenjubel einbezogen.
Bis 4. März, Admiralspalast, Friedrichstr. 101, Berlin-Mitte
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