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Moralische Appelle und Almosen
Die Thesen des Tomás Sedlácek über die Ökonomie von Gut und Böse
Wenn der Wirtschaftsmotor nicht brummt und ganze Volkswirtschaften in die Rezension zu rutschen drohen, schlägt die Stunde der Ökonomen. Oder besser gesagt: der Ökonomen, die vermeintlich alles - oder vieles - anders machen wollen. Einer von ihnen ist Tomas Sedlácek.
Der der junge Tscheche sagt: Die Wirtschaft ist weit mehr als nackte Zahlen. Deshalb fordert er eine Rückkehr zu den alten Werten der Ökonomie. Sie sei mehr als die Anwendung mathematischer Modelle, die heute die Volkswirtschaftslehre dominieren, der er eine Arroganz gegenüber anderen Wissenschaften bescheinigt. Die Ökonomie sei vor allem eine interdisziplinäre Sozialwissenschaft und müsste sich auch mit psychologischen und philosophischen Fragestellungen beschäftigen. Dafür greift der 35-jährige Autor zurück auf das Gilgamesch-Epos, Philosophen der griechischen Antike, das Judentum, das Alte und das Neue Testament und stellt Verbindungen her zu den Ikonen der neoklassischen Ökonomie, z. B. Adam Smith, den er rehabilitieren will.
Sedlácek fängt ganz von vorne an. Er fragt nach dem Sinn der Ökonomie, ihrem praktischen Nutzen und ihrem Verhältnis zum Menschen. Ist die menschliche Natur gut oder böse? Sei er von Natur aus böse, also der Mensch des Menschen Wolf, brauche es die harte Hand eines Herrschers. Sei der Mensch von Natur aus gut, könne man die Zügel lockern und in einer Gesellschaft mit mehr Laissez-faire leben. Es sind diese einfachen Schlußfolgerungen, die sein Buch in Tschechien einem breiten Lesepublikum zugänglich gemacht haben; dort hat es sich mehr als 60 000 mal verkauft. Mittlerweile ist es ein internationaler Bestseller. Sedlácek kommt jedenfalls zu dem Schluss, dass der Mensch gut sei, er müsse nur seine Fähigkeiten und seine Moral entsprechend einsetzen.
Und genau hier liegt die Schwäche seines Ansatzes: Er reduziert die Krisenhaftigkeit des Kapitalismus auf die Frage der individuellen Moral, appelliert an das alte Ideal der aristotelischen Mäßigung, um die individuelle Gier zu zähmen. Daraus leitet er auch seine Kritik am Wirtschaftswachstum um des Wachstums Willen ab und greift damit scheinbar eine wichtige Determinante der heutigen Wirtschaftspolitik an. Aber hinter der mit Verve vorgetragenen These verbirgt sich eine Verteidigung des Status Quo: Man müsse weg vom schuldenfinanzierten Wachstum und statt dessen Sparprogramme auflegen. Den angehäuften Reichtum der Krisenprofiteure will Sedlacek nicht explizit zur Begleichung der Schuldenlast antasten - ihre Gaben müssten auf Freiwilligkeit beruhen. So fügt er zusammen, was zusammen gehört, weil es ohne Konsequenz bleibt: Moralische Appelle und Almosen.
Tomas Sedlácek ist ein Produkt der wirtschaftspolitischen Eliten Europas: Mit 24 Jahren war er bereits Ratgeber des tschechischen Präsidenten Vaclav Havel, wenige Jahre später wurde er Berater des Finanzministers und war verantwortlich für Steuer-, Renten- und Gesundheitsreformen in Tschechien - in enger Zusammenarbeit mit der EU-Kommission. Heute soll er für den Premierminister Strategien gegen die Wirtschaftskrise entwickeln und ist gleichzeitig Chefvolkswirt der größten tschechischen Bank. D. h. er treibt eine Wirtschaftspolitik mit voran, die eine Umverteilung von unten nach oben bewirkt - ganz im Sinne neoliberaler Wirtschaftspolitik.
Wenn der Kapitalismus in einer Legitimationskrise steckt, weil er seine Versprechen vom Wohlstand für alle nicht einhalten kann, tauchen immer wieder vermeintliche Propheten wie Sedlácek auf. Sein Exkurs zu den historischen und kulturellen Wurzeln der Ökonomie dient vor allem der Bestätigung, dass der Kapitalismus der Natur des Menschen entspreche, dass er gottgewollt sei und das Beste hervorbringe, was diese Welt zu bieten hat. Dabei gleitet er bisweilen ins Absurde ab. Etwa wenn sich Sedlácek abmüht, die heutige Wirtschaftspolitik aus dem Neuen Testament abzuleiten.
2008, während der Finanzkrise, sei der Staat als Erlöser der verschuldeten Banken aufgetreten. Das sei zwar nicht gerecht, aber richtig gewesen, sonst wäre das ganze Wirtschaftssystem zusammengebrochen. Hier sei das neutestamentliche »Vergeben der Schuld« in der Praxis angewendet worden. So macht Sedlacek die Banken zu Opfern und gesteht ihnen als Institutionen quasi menschlichen Status zu.
Die Botschaft zwischen den Zeilen: Auch Ungerechtigkeit kann akzeptabel sein, wenn sie dem Großen und Ganzen dient. Aber letzteres bleibt notwendigerweise abstrakt und unkonkret - das gesteht auch Sedlácek. Kurzum: Der Gebrauchswert seines Buches ist gering. Bankmanager und ihre politischen Freunde können sich jedoch bestätigt sehen, denn Sedlácek erteilt ihnen - und sich selbst - de facto Absolution.
Tomás Sedlácek: Die Ökonomie von Gut und Böse. Hanser Verlag. 448 S., geb., 24,90 €.
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