Rabbiner in Aufruhr
Konferenz ruft zu Beschneidungen auf / SPD und Grüne für Rechtssicherheit
Die Rabbiner haben die jüdischen Gemeinden in der Bundesrepublik dazu aufgerufen, die religiöse Tradition der Beschneidung von Jungen fortzusetzen. Ein mögliches Verbot der Praxis sei ein »fundamentales Problem für die weitere Existenz der jüdischen Gemeinden« in Deutschland, so der Präsident der Konferenz, Pinchas Goldschmidt, am Donnerstag in Berlin zum Abschluss mehrtägiger Beratungen der orthodoxen Rabbiner.
Grund für diese Äußerung ist ein Urteil des Landgerichts in Köln. Das hatte vor etwa zwei Wochen die Beschneidung eines muslimischen Jungen als Körperverletzung bewertet. Der Eingriff sei medizinisch nicht notwendig und entspreche nicht dem Kindeswohl, so die Begründung. Muslimische und jüdische Verbände üben harsche Kritik an dem Urteil. Das Jüdische Krankenhaus Berlin hat als Reaktion darauf religiös begründete Beschneidungen bis auf Weiteres ausgesetzt.
Die Beschneidung sei »ein Grundgesetz der jüdischen Religion«, so Goldschmidt. Deshalb dürfe nach dem Urteil nicht abgewartet werden, bis weitere Gerichtsentscheidungen getroffen oder neue Gesetze geschaffen werden, betonte er. Die Rabbinerkonferenz kündigte zugleich die Gründung eines eigenen Verbandes für jüdische Beschneider an.
Unterstützung erhielten die Geistlichen vom niedersächsischen Hartmannbund. Der Ärzteverband setzt sich dafür ein, Beschneidungen an Jungen weiter zuzulassen. Er reagierte damit auf einen Appell des Präsidenten der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, vorerst keine Beschneidungen mehr vorzunehmen.
Aus der Politik mehren sich derweil Forderungen nach gesetzlich verankerter Straffreiheit für Beschneidungen von Jungen. Politikerinnen von SPD und Grünen sprachen sich dafür aus, die Möglichkeiten für entsprechende gesetzliche Regeln auszuloten und so Rechtssicherheit herzustellen.
Die Vorsitzende der Menschenrechtsorganisation Terre des femmes, Irmingard Schewe-Gerigk, begrüßt in einem Beitrag für neues deutschland das Kölner Urteil, »da es zeigt, dass die körperliche Unversehrtheit von Kindern auch nicht mit religiösen Argumenten verletzt werden darf«. Sie sei »ein Menschenrecht und muss für alle Kinder gleichermaßen gelten, egal welcher Herkunft, Religion und welchen Geschlechts sie sind«, so die Feministin weiter.
Dem widerspricht der Vorsitzende des Zentralrat der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek. Er nennt die Kölner Entscheidung einen »eklatanten und unzulässigen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften«. Die Religionsfreiheit sei ein hohes Gut und dürfe nicht Spielball einer eindimensionalen Rechtsprechung sein, meint Mazyek.
Die Gastbeiträge von Schewe-Gerigk und Mazyek sind vollständig in der morgigen Wochenendbeilage des »nd« zu lesen.
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