Linksradikaler Wanderprediger
Bernd Langer ist seit über 30 Jahren in der Antifa. Zu deren 80. Jahrestag hält er Vorträge und reist durchs Land
»Niemand ist ein Korken auf dem Wasser, der sonst mit nichts zusammenhängt«, findet er. Bernd Langer sitzt mit einer riesigen Tasse Kaffee in der Küche seiner Wohnung in Berlin-Neukölln. Kaum hat er sich gesetzt, referiert er um kurz nach zehn Uhr morgens darüber, wie manipulativ Zeitgeschichte sein kann. Während er massig Zucker in seine Tasse kippt, erzählt Langer von Max Hoelz, einem den die Geschichte geschluckt hat, um ihn dann an anderer Stelle wieder auszuspucken. Genau das ist es, warum Langer seit Jahren auf Reisen ist. Letzte Woche Göttingen, nächste Woche Erfurt, dann wieder Berlin, danach Freiburg. Der 52-Jährige fährt durch Deutschland und hält Vorträge über die Geschichte des Antifaschismus. Er sieht sich selbst als Bewahrer, einer der den »antifaschistischen Staffelstab« weitergeben will, so dass nichts irgendwann vergessen ist. In diesem Jahr wird die Antifa 80 Jahre alt, vom »staatstragenden« Antifaschismus der Bundesrepublik, wie Langer sagt, weitgehend als militante Chaoten ausgegrenzt, müssen es die Antifaschisten also »schon selbst in die Hand nehmen«, um am Leben zu bleiben.
Von Hoelz erzählt er gern, das merkt man. Von den Kommunisten erst als nicht ganz linientreu verschmäht, wurde in den 1980er Jahren eine NVA-Einheit nach ihm benannt, zu einer Zeit also, als es langsam zu Ende ging mit der DDR und die ganzen »Freaks aus der Mottenkiste« gekramt wurden, wie Langer das nennt. Auf den ersten Blick ist es wunderlich, dass so wenig Bücher im Regal im Wohnzimmer stehen. Dafür sind dort zahllose Aktenordner eingereiht. »Mitteldeutscher Aufstand«, »80 Jahre Antifa« steht auf den Klebestreifen. Die meisten seiner Bücher hat er im Schlafzimmer verstaut, sie füllen den ganzen Raum. Wie viele das wohl sind? Gute Frage, sagt er und fängt an die einzelnen Regale mit der Anzahl der Bücher pro Brett zu multiplizieren. 17, 18, 19, 20. So knapp 2000 werden es wohl sein. Für ihn gibt es nur Sachbücher, egal ob über die Bauernkriege, den Humanismus oder die Russische Revolution. Belletristik, die Welt des Erdachten ist ihm fremd, »reine Zeitverschwendung«, wie er findet. Wenn er sich so für Vergangenes interessiert, warum hat er nie Geschichte studiert? Ein Studium, einschreiben an einer Hochschule? Das wäre doch Verrat, Verrat, Verrat, schreit er und lacht. Der authentische Kämpfer will Sand im Getriebe des Systems sein und passt sich nicht an, deshalb.
Geschichten abseits großer Revolutionen
Der große kahlköpfige Mann, der niemals etwas anderes als schwarz trägt, wäre bestimmt ein beliebter Lehrer gewesen. Einer, der Jugendlichen erzählt, dass es schon irgendwie »cool« gewesen ist, wie dieser Max Hoelz Anfang der 1920er Jahre als linksradikaler Robin Hood während des Mitteldeutschen Aufstands von Fabrikanten und Kaufleuten Geld erpresste und Häuser anzündete. Einer, den Eltern allerdings grausig gefunden hätten. Er liebt diese Erzählungen abseits der großen Revolutionen. Menschen, die eine Idee hatten und damit gnadenlos angeeckt sind, so wie Hoelz, so wie er selbst. Wenn er spricht und dauernd aus dem Fenster auf die graue Häuserwand schrägt gegenüber blickt, dann gehen dort Unternehmervillen in Flammen auf und einiges im Satz überschlägt sich, nur die Verben, die sind immer deutlich zu hören, »durchführen«, »kämpfen«, »umsetzen«. Das ist Langers Welt. Für ihn hat alles 1977 so richtig angefangen, als er in die Jugendclubszene eintauchte und den Antifaschistischen Arbeitskreis Bad Lauterberg gründete, ein beschauliches Kaff im Harz, in dem er geboren wurde. Hier waren sie das Gegengewicht zur NPD, die sich in niedersächsischen Kleinstädten breitmachte.
Die ersten Massendemonstrationen erlebte er noch vor dem Fernseher und die hatten nichts mit der NPD zu tun. Die Anti-AKW-Demos in Grohnde begeisterten ihn. Die Polizisten auf Pferden, dagegen die Demonstranten zu Fuß. Das erinnerte ihn an die großen Feldschlachten des 18. und 19. Jahrhunderts. 1979 ist Langer selbst das erste Mal bei einem Großprotest dabei. Der erste Stein flog 1981 bei einer Anti-AKW-Demo in Brokdorf. Davor wurden ihm in einem Vorbereitungsseminar noch die essenziellen Demoregeln erklärt. 23 Pfennige für den Anruf beim Ermittlungsausschuss (EA), der im Notfall Anwälte besorgt, sollte er unbedingt einstecken. Als er von den 1980er Jahren, der Hochzeit der Autonomen Antifa erzählt, gerät sein Redeschwall das erste Mal ins Stocken. »Im Prinzip war das damals schon ganz schön irre«.
1982, da war er 21 Jahre alt und aus dem kleinen Bad Lauterberg nach Göttingen gezogen, gehörte er zu den Initiatoren der ersten autonomen Antifa-Gruppe in der Stadt und spielte bei der Norddeutschen-Antifa-Koordination eine wichtige Rolle. Und schon bald wird es unübersichtlich. Langer ist mittlerweile bei drei verschiedenen Gruppen dabei und koordiniert hin und her.
Das große Umdenken kam im Herbst 1987 nach einer eher enttäuschenden Demonstration gegen ein Nazi-Jugendlager in Hetendorf in Niedersachsen. Trotz bundesweiter Mobilisierungsversuche kamen nur etwa 300 Antifaschisten, um zu protestieren. Die Norddeutsche-Antifa-Koordination war damit praktisch gestorben. Für Strategen wie Langer war es nun Zeit, die organisatorische Politik der Antifa neu zu denken.
Auflösung, Spaltung, Neugründung
1988 kam so in Göttingen das erste Antifa-Bündnis zustande. Gewerkschaften bis hin zu den Grünen arbeiteten auf Demonstrationen mit der Antifa zusammen. Intern war Langers Idee von der Bündnispolitik stark umstritten. Viele Gruppen hatten Angst, das eigene Gesicht zu verlieren und so spaltete sich die Bewegung, aus der die Autonome Antifa (M) hervorging. Vorher flog Langer noch aus der Göttinger Antifa.Bundesweit sollte die »M« über Jahre in der Szene den Ton angeben und für die erste überregionale Organisation, die AA/BO (Antifaschistische Aktion/Bundesweite Organisation) bedeutend sein. In der »M« war Langer Gründungsmitglied und bald zur Führungsfigur aufgestiegen - später mehr als am Anfang, wie er sagt. Wofür das »M« steht, verrät er heute immer noch nicht, so genau weiß es auch keiner. Militant wäre naheliegend, marxistisch vielleicht, aber auch als Mistkäfer wurden sie verspottet.
Von außen hatte die »M« Tendenzen einer straff durchorganisierten avantgardistischen Kaderpartei, was einige naturgemäß ablehnten. Wer Mitglied in der »M« werden wollte, musste ein Vorstellungsgespräch mit zwei GruppenvertreterInnen überstehen, wie Langer in seiner Autobiografie »Operation 1653« beschreibt. Geschichtsbewusstsein im Sinne des antifaschistischen Widerstandskampfes aus der Weimarer Zeit war ihm schon damals wichtig. Mit der Initiative Kunst und Kampf, die Langer ins Leben rief, entstand ein künstlerischer Anspruch innerhalb der »M«. Erstmals wurden professionelle Flyer und Plakate gedruckt. In dieser Zeit entstand auch das heute noch bekannte Antifa-Logo, eine rote und schwarze Fahne, die im Wind wehen. Langer will nicht zu eitel rüberkommen und sagt lieber nichts dazu, ob er sie quasi erfunden hat. Ursprünglich sind die beiden Fahnen ein Symbol des Antifaschismus der Weimarer Republik, damals 1932 waren noch beide Flaggen rot und standen für die KPD und SPD. Später entbrannten heiße Diskussionen um die Konstellationen der Doppelfahnen, rot auf schwarz symbolisierte die Nähe zur Autonomen Antifa (M), schwarz auf rot die Gegnerschaft und Betonung des anarchistischen Widerstandes. Inzwischen gibt es zahlreiche Varianten, beide rot, beide schwarz, selbst in welche Richtung die Fahnen wehen, ist umstritten. Für Langer jedenfalls gehört die rote Fahne nach vorne, beide wehen nach links, gegen rechts. Dort liege die Ursprungsidee, außerdem sähe das so besser aus, sagt er. Die vielen Diskussionen um Farben und Richtungen seien eh ziemlich amüsant und eine »skurrile Begleiterscheinung«.
Ein Leben als Vollzeit-Aktivist
Erst Jahre später, 2004, wurde die Autonome Antifa (M) im Zwist zwischen Antiimperialisten und Antideutschen zerrieben und löste sich auf. Eine unspektakuläre Pressemitteilung über interne »Differenzen«, das war alles. Heute existieren drei Abspaltungen der ehemaligen »M« weiter.
Langer sind seine Kunst und seine Reisen als linksradikaler Wanderprediger geblieben. So nennt er sich selbst. Zu Langers Vorträgen kommen selten Menschen über vierzig. Spätestens ab Mitte dreißig nimmt das Interesse an der Antifa ab. »Dann ist das Konzept unattraktiv. Familienplanung ist vielen wichtiger«. Er wollte nie eine, das hätte auch nicht gepasst, die Möglichkeit ergab sich auch nicht, sagt er und lächelt. Jetzt muss er aber langsam wieder los. Mit dem Kunsthaus Tacheles in Berlin geht es zu Ende, der Zwangsverwalter stellte bereits den Strom ab. Langer hat ein »Soliplakat« entworfen, das er noch abholen will.
Nur wenige seiner ehemaligen Mitstreiter haben den autonomen Lebensstil so konsequent durchgehalten wie er, sagt er zum Abschied. Er ist und bleibt lieber ein Freak.
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