Kampf um die Krippe

Unheiliges am Heiligen Stuhl: Gianluigi Nuzzis neues Vatikanbuch

  • Ingolf Bossenz
  • Lesedauer: 5 Min.

Er sei ein »optimistischer Katholik« und habe beim Schreiben »absolut gelitten - als Mensch, als Christ«. Das sagte mir der italienische Journalist Gianluigi Nuzzi im März 2010. Damals war gerade die deutschsprachige Ausgabe seines Buches »Vatikan AG« erschienen. Die Enthüllungen über die unheiligen Finanzpraktiken des Heiligen Stuhls hatten in Italien und international für Furore gesorgt. In der Folge sah sich der Kirchenstaat veranlasst zu personellen und strukturellen Veränderungen bei der immer wieder von Skandalen erschütterten Vatikanbank.

Die mit »Vatikan AG« verbundenen Erfahrungen, Kontakte und Wirkungen hätten sein zweites Enthüllungsbuch über den Kirchenstaat erst möglich gemacht, meinte Nuzzi vorige Woche in Berlin, wo er die deutschsprachige Ausgabe von »Sua Santità« (Seine Heiligkeit) vorstellte, die ab heute in den Buchhandlungen ausliegt.

Auf meine Frage, ob er denn erneut gelitten habe beim Schreiben, verwies der 43-Jährige diesmal auf das »starke Unbehagen«, dass er während der Arbeit empfand. Es habe sich gespeist aus der Erkenntnis, dass Teile des Vatikans »sehr weit entfernt sind von den Problemen der Gläubigen«, so der stets freundlich wirkende Mann mit dem rasierten Schädel und dem kräftigen Körper im dunkelblauen Nadelstreifenanzug.

Eine wenig überraschende Binsenweisheit, möchte man meinen. Dokumentiert in zahlreichen kirchenkritischen Büchern, die zu verlegen mittlerweile auch große Literaturhäuser keine Skrupel mehr haben - nach den Pannen, Pleiten und Peinlichkeiten des deutschen »Stellvertreters«.

Doch Nuzzis Buch ist anders. Er setzt, wie schon in »Vatikan AG«, auf die Kraft des (nicht von ihm) Geschriebenen: Dossiers und Depeschen, Noten und Notizen ... Verfasst von denen, um die es auf den über 400 Seiten von »Seine Heiligkeit« geht: Kurienbedienstete, Bischöfe, Kardinäle, Diplomaten, Politiker, Medienvertreter und - natürlich - Seine Heiligkeit, Papst Benedikt XVI. Dokumente, deren Brisanz der Heilige Stuhl höchstselbst bestätigte, indem er fieberhaft nach dem Leck für die »Vatileaks«-Affäre (eine Wortschöpfung von Papstsprecher Federico Lombardi) fahndete und den als Informanten enttarnten päpstlichen Kammerdiener Paolo Gabriele zwei Monate innerhalb des Vatikans einsperrte.

Letzteres war selbst für den in den Fährnissen des investigativen Geschäfts erprobten Nuzzi »unerwartet und überzogen«. Schließlich gehe es nicht um Staats- oder Militärgeheimnisse, sondern um »leidvolle Geschichten, Skandale, Eigeninteressen, Seilschaften, Machtspiele und Korruption«.

Nuzzi widmete ein ganzes Kapitel seinem Informanten mit dem Decknamen »Maria«, dem Beschaffer der im Buch verwendeten und veröffentlichten Dokumente. Der angeklagte Papstdiener Gabriele hat inzwischen gestanden, Fotokopien von Papieren dem Autor übergeben zu haben, weshalb sich die Frage stellt, ob dieser Gewährsmann identisch ist mit »Maria«. Nuzzi lässt dies weiter offen. Quellenschutz. Zudem beschreibt sich »Maria« im Buch als Teil einer »Gruppe von Leuten, die das Unrecht dokumentieren und handeln wollen«. Dass zu dieser Gruppe allerdings »kein Kardinal« gehört, erklärte Nuzzi dieser Tage in einem Interview.

Nuzzi hat versucht, das ihm übergebene Konvolut von Dokumenten zu strukturieren, thematisch zu gliedern. Kapitelüberschriften wie »Korruption in den heiligen Hallen«, »Die fröhliche Geldmaschine« oder »Die Einmischung in die Angelegenheiten Italiens« erwecken den Eindruck systematischer Rechercheresultate. Was indes dem Autor vorlag, war ein Sammelsurium. Und das bleibt es auch. Da findet sich Banales wie das wundersame Wachstum für die Kosten der Weihnachtskrippe auf dem Petersplatz; Bedenkliches wie das lange Zeit ungetrübte Einvernehmen zwischen Vatikan und skandalgesättigtem Regierungschef Silvio Berlusconi; Brisantes wie die offenbar jahrelange Vertuschung des Sexskandals um den Gründer des reaktionären Ordens »Legionäre Christi«, den Mexikaner Marcial Maciel.

Doch gerade aus dieser Sperrigkeit, die sich ordnendem Bemühen widersetzt, erwächst jene Authentizität, die Nuzzis Markenzeichen ist. Ein Puzzle, das sich zu Teilsichten fügt, aber viel Raum den Lesern selbst lässt. Die bürokratisch-drögen Kanzleischreiben enthüllen das von Kabalen und Kompetenzstreit gebeutelte Zentrum einer Weltkirche: Kampf um die Krippe im Hause des Herrn.

Wer sich der über weite Strecken anstrengenden Lektüre (ein Register wäre dabei hilfreich) unterzieht, wird Nachrichten über Vorgänge im Vatikan oder dessen Agieren in der - vor allem italienischen - Politik künftig mit klarerem Blick betrachten.

Deutsche Leser dürften ihr besonderes Interesse auf die Affäre um den Pius-Bischof Richard Williamson richten. Dass Benedikt XVI. diesen Kirchenabtrünnigen trotz dessen Leugnung des Holocaust wieder in den Schoß der Una Sancta aufnahm, hatte sogar Bundeskanzlerin Angela Merkel auf den Plan gerufen. Die Intervention der protestantischen Regierungschefin ärgerte Joseph Ratzinger in weit stärkerem Maße als bislang bekannt, wie aus den abgedruckten Schreiben Benedikts hervorgeht. Vor allem kanzelte der Pontifex seinen Berliner Nuntius und die deutschen Bischöfe ab. Dem Papst fehlten deren »klare Worte des Protests gegen diese Einmischung in die Angelegenheiten der Kirche«.

Eine Demontage des Pontifikats von Benedikt XVI. lag indes weder in der Intention des Buchautors noch in der seiner Informanten. Letzteren ging und geht es um die Rettung und Reinigung ihrer Kirche. Und für Gianluigi Nuzzi bleibt Joseph Ratzinger - bei allen Hindernissen, die sich diesem in den Weg stellen - »ein sensibler und tatkräftiger Papst«, der erfüllt ist »vom Wunsch nach Licht und Wahrheit« und der »durchaus versucht, Veränderungen herbeizuführen«. Um mit dem Wissen und Wirken Nuzzis an solcher Überzeugung festhalten zu können, muss man wohl in der Tat ein »optimistischer Katholik« sein.


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