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Jeder Schritt ein Tritt

Helmut Oehrings Musiktheater »AscheMond« in der Staatsoper Berlin

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 4 Min.

Das Festival »Infektion«, derzeit zum dritten Mal ausgerichtet von der Berliner Staatsoper, trägt Werkstattcharakter. Etliches kam dabei in der Vergangenheit zur Aufführung, Gutes, weniger Gutes, auch, was nicht ausbleibt, Grottenschlechtes. Allemal bot und bietet das Festival die Möglichkeit, moderne Formen und Lesarten des Musiktheaters aufzutischen, statt unter die Decke zu kehren. Die klassische moderne Oper und die neue wilde denkfreudige Art, mit der Bühne musikalisch zu hantieren, reichen einander die Hand. Uraufführungen sind die Regel. »AscheMond oder The Fairy Queen« von Helmut Oehring ist die jüngste. Sie kam im Schillertheater vor ausverkauftem Hause.

Es macht schrecken, dies Stück. Es trifft Nerven. Empfindlich. Antieuphemismus waltet in jedem seiner Nervenfäden. Oehrings »AscheMond oder The Fairy Queen« nach dem Libretto von Stefanie Wördemann will der Gegenwart nicht gefallen, wohl aber den Gefährdungen der Menschen entgegnen, indem es sie darstellt. Je poetischer, je wahrer. Und das gelingt - in erster Linie musikalisch. Ganze Welten träumen in dem Stück. Liebe dreht sich um ihre Achse wie die Monde um die Planeten. Der Schein trügt. Es gewittert in den Schläfen, selbst wenn der Altus die lieblichsten altenglischen Lieder singt. Sonne geht, doch jeder Schritt scheint ein Schritt am Mann, am Weib, am Kinde vorbei. Und jeder Schritt ist zugleich ein Tritt, gegen sich selbst, gegen den Nächsten.

Oehring komponierte einen Schwebezustand, kaum aushaltbar, stufenlos, wie Kunst ihn liebt. In der Aufführung führt er unausweichlich hinab. Die Bühne dreht, Wohnung, Familie mit Kind kreiseln, vor, zurück. Die Gänge führen durch kahle Zimmer, Flur, Küche. So sehnsüchtige wie bedrückte Gesten klingen hinter jeder Wand. Wo immer der schwarze Chor auftritt, er tritt auf wie das Leib gewordene Menetekel.

Jene Subjekte der heillos schwirrenden Falter sind aller Farbigkeit entkleidet. Tiefschwarz genauso die gute Frau des Hauses. Ihre Worte stehen wie gemeißelt an der Wand. »LiebLeid macht/ Träume ach StillWünsche Tränen/ Folgen armkrank Leidenschaft«. Solche Zeilen unterfüttern die beiden Soprane stimmlich. Die Gehörlose wirft gestisch die Leiden derer, denen sie dient, ungleich vernehmlicher ins Publikum, als alle Stimmen des Stückes zusammen. Dunkel erscheinen noch die hellsten, cantabelsten Gesänge. Die der Mutter, der Schwester, des Counters. Mit der Sehnsucht nach den Schönheiten und Stärken des Lebens führen sie gleichzeitig die »unablässigen alltäglichen Entwertungen« mit (Helmut Oehring).

Erstaunlich, erfindungsreich dieses Musiktheater. Oehring/ Wördemann bringen die unterschiedlichsten Materialien unter ihre Botmäßigkeit, literarische, kompositorische, szenische. Mit Heine-Texten hatte sich der Komponist schon in »Melencolia« für Oboe und Klavier auseinandergesetzt. Hier führt er wiederum welche ein. Wort in Hitze und Kälte gerufen. »Unser Sommer ist nur ein grün angestrichener Winter.« Zitate aus Shakespeares »King Lear«, den Sonetten. Adalbert-Stifter-Worte, welche von F. Scott Fitzgerald, auch eigene des Komponisten stehen programmatisch und unmittelbar dem Libretto zu Gebot.

Kühn die Hinwendung Oehrings zu Purcell, die schon Jahre andauert. Dessen Semi-Oper, wie er sie nennt, »The Fairy Queen« rückt nicht nur die Gestaltung der Feenwelten in den Horizont, sondern jene vorbarocke polyphone Poesie mit ihren seufzenden Melodiebildungen, die sich für »AscheMond« geradezu anbot. Unerhört, den Verwebungen moderner Sprache mit der Purcell-Melodik zu lauschen, die fein gesponnenen Übergänge nachzuvollziehen, zu erleben, wie deren Strukturen wechselseitig aufsprengen und den innewohnenden Tragödien der Partitur freien Lauf geben.

Musiker der Akademie für Alte Musik unter Benjamin Bayl und der Staatskapelle, dazu drei Instrumentalsolisten (E-Gitarre, Konzertgitarre, Kontrabass) unter Johannes Kalitzke realisierten mit dem hervorragenden Sängerpersonal, voran Marlis Petersen und Tanja Ariane Baumgartner - Sopran, Mezzosopran - und Counter Bejun Mehta, diese Liaison der widerspruchsvollen Sphären vorbildlich.

Die Geschichte indes, die Regisseur Claus Guth dieser Partitur beigab, aus weiteren Quellen gespeist, wirkte aufgedrückt. Literarisierung ins Uferlose. Ein Mann (Ulrich Matthes) erinnert sich an seine Kindheit, lesend aus seinem Notizbuch (Untugend des Theaters). Verwandlung. Der Knabe, teils maskiert wie die anderen auch, turnt herum. Warum nahm sich die Mutter das Leben? Die Familie trauert. Geburtstagsfete. Chorische Kommentare. Auftritt des maskierten Tänzers. Allseits Demütigung. Partnertausch. Beziehungen zerreißen vor den Augen des Knaben. Maßlos platt: die gute Fee übergibt dem Mann den Schlüssel und kriegt ihn am Ende wieder ausgehändigt.

Noch ärgerlicher das Bühnenbild, Naturalismus pur (Christian Schmidt). Das ganze Unglatte, Kontroverse, Changierende des Musikablaufs konterkarieren die polierten Bauten mit Schrankwand und Kühlschrank und die glatten Kostüme eher. Gleichwohl. Helmut Oehrings Arbeit geht an Nervenpunkte. Sie trifft sehr genau Ängste der Zeit. Der erzählende Teil des Inszenierung steuert leider wenig dazu bei.

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