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Wir sind doch nur von Freunden umstellt!
Warum braucht der BND ein pompös-monströses Headquarter in Berlin?
Man weiß nicht, ob der Verfasser des hier anzuzeigenden Buches angesichts der Snowden-Enthüllungen frohlockt. Oder ob er eher bedauert, zu seiner Zeit bei der Spionageabwehr in der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) der DDR und zeitweilig verantwortlich für die Sicherheit der DDR-Auslandsvertretungen nicht über die Möglichkeiten der geheimen Informationsbeschaffung verfügt zu haben, wie es sie heute gibt. Den Bau der pompösen BND-Zentrale in Berlin, an jener Stelle, an der sich einst das Stadion der Weltjugend befand, das vor 1973 nach Walter Ulbricht benannt war, nimmt Gotthold Schramm zum Anlass, seine über Jahre gesammelten Beobachtungen zum Auslandsgeheimdienst der Bundesrepublik Deutschland kundzutun.
Er skizziert, wie es mit US-amerikanischer Unterstützung zur Gründung des Bundesnachrichtendienstes unter Reinhard Gehlen, in NS-Zeit Leiter der »Fremde Heere Ost«, kam und wie ab 1956 in Pullach, abgeschirmt von der Öffentlichkeit, das erste Headquarter entstand, dem zahlreiche weitere Dienststellen im Inland sowie Residenturen im Ausland folgten, nach 1990 vor allem offensiv in Osteuropa. Schramm listet die Altnazis im BND auf und beschreibt die Versuche, die braunen Erblasten zu leugnen und zu vertuschen. In einem speziellen Kapitel beäugt er die illustre Schar der BND-Präsidenten. Sodann erinnert er an die Beteiligung des Dienstes bei der Vorbereitung der NATO-Aggression gegen Jugoslawien. Hatten die SPD-Kanzler Willy Brandt und Helmut Schmidt nicht viel auf den BND gegeben - »Sie fühlten sich von den Medien wesentlich besser informiert.« - , so bezog die rot-grüne Regierung unter Gerhard Schröder und Joschka Fischer (obwohl die Grünen 1990 die Abschaffung der Geheimdienste gefordert hatten!) den Dienst direkt in ihre Außenpolitik ein. »Insofern war der Beschluss der Verlegung der BND-Zentrale von Bayern an den Regierungssitz nur logisch.«
Sie sollte in »fußläufiger Nähe« zum Kanzleramt, nur 1,5 Kilometer entfernt, entstehen, wünschte sich BND-Präsident Hanning. »Offenkundig vertraute man den modernen nachrichtendienstlichen und sonstigen Verbindungsmitteln nicht«, spöttelt Schramm. Noch alberner findet der Ex-Geheimdienstler das Argument, mit dem Umzug erfolge eine »Öffnung des Dienstes« in die Gesellschaft. Um »gestörtes Vertrauen« wiedergewinnen, schlug BND-Chef Uhrlau sogar vor, in einem vom Dienst betriebenen Shop BND-Kochbücher, Taschenmesser mit BND-Logo sowie Schlüpfer mit der Aufschrift »Nur für den Dienstgebrauch« oder »Verschlusssache« den Bürgern zum Kauf anzubieten. Kein Wunder, dass da Christian Ströbele von einer »Chaotentruppe« sprach, die sich besser mit ihren Pannen und Pleiten beschäftigen sollte.
An diese erinnert Schramm genüsslich, freilich in einer Auswahl: von der Eichmann-Affäre über die Plutoniumschmuggel- und Journalisten-Abhör-Affäre bis hin zu Peinlichkeiten in Irak und Kosovo. Hierzu gehört auch das ominöse Verschwinden von geheimen Bauplänen der neuen BND-Zentrale im Sommer 2011, darunter zum sensible Logistikzentrum. Vergeblich mühte sich Uhrlau, diese Schmach zu bagatellisieren. Und auch die Verurteilung eines russischen Agentenpaares diese Woche in Stuttgart kann nicht über den Fakt hinwegtäuschen, dass die westdeutsche Spionageabwehr bei der Enttarnung von Maulwürfen der HVA oder des KGB nicht besonders erfolgreich war. Genannt seien hier nur Gabriele Gast und Alfred Spuhler. Schramm verschweigt nicht verschämt, dass die HVA keine Scheu kannte, Altnazis in Gehlens Truppe anzuwerben (z. B. Heinz Felfe). Er gesteht auch Erfolge des BND, Spitzenquellen in DDR-Führungsgremien zu platzieren. Warum dieser dennoch nicht so effektiv war wie sein östliches Pendant, weiß er. Aber: »Es ist nicht Aufgabe ehemaliger Mitarbeiter der Aufklärung und Spionageabwehr der DDR, dem BND Ratschläge zur Verbesserung seiner Arbeit zu erteilen.« Kurz geht Schramm auf die US-amerikanische Geheimdienststrategie der Nachkriegszeit ein. Das Ziel der Roll-Back-Doktrin sei zwar erreicht worden, doch der Zerfall des sozialistischen Lagers war »durch die Verschärfung der inneren Widersprüche und dem halsstarrigen Festhalten der Politbürokraten an alten und falschen Methoden begünstigt« worden.
Zurück zur BND-Festung in Berlin. Von einem Milliardengrab ist auch in diesem Fall bereits die Rede. Als im April 2003 hinter verschossenen Türen die Entscheidung über den Bau der »modernsten Geheimdienstzentrale Europas« fiel, waren die Kosten auf 500 Millionen Euro beziffert worden; mittlerweile ist man bei über zwei Milliarden angelangt. Die Fertigstellung verzögert sich, wird wohl nicht vor 2016 erfolgen.
»Der deutsche Kaiser hätte gewiss an dieser Dimension seine Freude gehabt«, bemerkt im Vorwort zu Schramms Buch der Publizist Robert Allertz und fragt: »Warum bläht sich eine Behörde derart auf, als stünde die Übernahme der Weltregierung ins Haus?« Im Vergleich zur entstehenden BND-Zentrale nehmen sich Kanzleramt und sogar das Reichstagsgebäude bescheiden aus. Die monströse Baustelle verführt den Vorwortschreiber zur Bemerkung: »Begänne hinter Hohenschönhausen Sibirien und ›der Russe‹ läge zähnefletschend vor der Stadtgrenze, wie er es bis 1990 an der Elbe tat, ... dann natürlich brauchte unsere wehrhafte Demokratie auch gewaltige geheimdienstliche Instrumente zur Verteidigung. Aber wir sind nur von Freunden umstellt, der Kalte Krieg ist seit zwei Jahrzehnten vorüber.«
Dass gerade Freunden nicht zu trauen ist, beweist erneut das dank Snowden offengelegte Ausmaß der Schnüffelei US-amerikanischer Geheimdienste. Sie lassen den kleinen deutschen Bruder ganz schön blass aussehen. Und den architektonischen Größenwahn in Berlin noch fragwürdiger erscheinen. Was trieb den BND dazu? »Er wähnt sich aufgestiegen in die Premium-League, in der bis dato lediglich Amerikaner und Russen spielen«, vermutet Allertz. Wie auch immer, Tatsache ist: »Der Klotz in der Chausseestraße ist ein Klotz am Bein der Demokratie.«
Gotthold Schramm: Die BND-Zentrale in Berlin. Beobachtungen. Edition Ost, Berlin. 191 S., br., 14,95 €.
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