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Die ultimative Privatheit der Reichen
Hans Jürgen Krysmanski über das Imperium der Milliardäre
In Zeiten eines von der NSA ausgespähten Internets geht es wieder vordringlich um das Recht auf Privatheit. Sie ist selten geworden wie nie zuvor. Alle Beschäftigten und Abhängige, einschließlich der Funktionseliten von Angela Merkel bis Barack Obama, sind der Datentransparenz ausgeliefert. Bei einigen Namen allerdings bleibt der Bildschirm leer. Das sind nicht die Namen von Politikern, Managern, Spitzenwissenschaftlern, Top-Bürokraten, sondern einerseits die Milliarden mittellosen Menschen, die ohnehin aus dem System herausgefallen sind, und andererseits jene Superreichen, die sich ultimative Privatheit leisten können. Die Grenze beginnt beim Hedge-Fonds-Spitzenmanager, der seine immensen Einkünfte verschleiern kann.
Das Buch von Hans Jürgen Krysmanski über die »0,1 Prozent« geht den Privatinseln im globalen Datenmeer (»Big Data«) nach - und stößt eben dort auf »die letzten Privatmenschen«: die Bewohner des unsichtbaren Imperiums des Superreichtums, die paar Zehntausend also, die in einem neuartigen Geldmachtkomplex agieren. Als Eintrittskarte gilt pro Person ein flüssiges Vermögen von rund 500 Millionen Dollar. Die nebelhafte Vermögensgeographie schreibt sich im zweistelligen Billionenbereich ein - sie steht für eine exzessive Landnahme, die kein Ende nimmt.
Krysmanski fragt, bei wem unter diesen Bedingungen die reale Macht liegt. Er untersucht die Rolle der »Super Rich« und ihrer Entourage, ihrer Stiftungen, Think Tanks und des aufblühenden »Wealth Management«. Der Autor verstößt erfreulich hartnäckig gegen übliche und bewährte Tabus auch der Linken, deren erstes Manko ein notorisches Desinteresse an der Analyse der herrschenden Klassen ist - schließlich ist sie keine Zielgruppe im politischen Tagesgeschäft.
Krysmanski stellt sich dagegen dem Problem, dass der Kapitalismus eine historisch unerreichte Form des kapitalförmigen Reichtums darstellt, dessen ökonomische, soziale und politische Macht und strukturbildende Kraft einer eigenen Analyse bedarf. Er verbindet Kapital-, Klassen- und Herrschaftsfrage mit der Reichtumsfrage. Superreiche stehen für ihn im Zentrum eines globalen Herrschaftsprozesses, in dem Geld sich tatsächlich direkt in Macht - und nicht allein in Kapital - verwandelt hat. Bilden die Reichen eine eigene soziale Kategorie (Klasse oder ähnliches) und ein soziales Subjekt? Welche Struktur hat dieses Subjekt, und was hält es im Innersten zusammen? Ist es imstande, seine Interessen und sein Bild der Gesellschaft aufzuprägen? Können wir die Hegemoniekämpfe etwa in Europa nur als Staaten- und Bankenkonflikte verstehen oder von transnationalen Klassen sprechen und dabei das ungeheure Machtpotential des Superreichtums ausklammern?
Zum Glück ist dieses Buch von einem Soziologen geschrieben. So werden viele (polit)ökonomische Plattitüden umschifft, die heute die Reichendiskussion (siehe das anspruchslose Wort von der UmFAIRteilung) bestimmen. Stattdessen sprudeln Geschichten aus Reichenland. Das Herumstöbern in diesem Text lohnt sich, zumal das Buch flüssig und populär geschrieben ist und die üblichen Stereotypen vermeidet.
Krysmanski verfolgt hartnäckig bestimmte Fragen und Zusammenhänge - etwa die Chancen eines historisch-materialistischen Ansatzes für eine soziologische Analyse des Superreichtums, der heute einzigartige Höhen der privaten Verfügung über Produktionsmittel, Arbeitskräfte, Produktivkräfte, Produktionsweisen, Überbauten usw. erreicht hat. Der Versuch zur Vermessung der Totalität der weltgesellschaftlichen Entwicklung veranlasst Krysmanski, immer wieder den Begriff des Planetarischen, einer planetarischen Zivilisation (Gotthard Günther) zu verwenden. Er begibt sich damit in die Nähe der Terminologie von Science Fiction - offensichtlich bewusst, um dem dogmatischen Bierernst der Diskurse um die Krise des Kapitalismus zu entgehen.
Für Krysmanski zeichnet sich mit der Entstehung der Schicht der Ultra-Privaten das Ende des gegenwärtigen Kapitalismus ab - und zwar durch eine Form der Akkumulation nicht von Kapital im traditionellen Sinne, sondern von Geldmacht, angesichts derer dieser Planet und alle, die darauf leben, »käuflich« werden. Damit wird nun aber, in einer dialektischen Wendung, das Ende des Privateigentums eingeläutet, wie der Kapitalismus es kannte und schuf. Krysmanski hofft, wider alle Hoffnung, auch auf Dissidenten der alt-neuen Kapitalmacht und die »Befreiung aller Daten aus den kapitalistischen Computernetzen«. Dass das nicht reicht, weiß er. Denn er hat schließlich das aktuell beste Buch über die 0,1 Prozent unserer Gesellschaft geschrieben.
Hans Jürgen Krysmanski: 0,1 Prozent. Das Imperium der Milliardäre. Westend. 290 S., geb., 19,90 €.
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