Nein, kein arges Wort über die Schwergewichte ...

Die Klitschko-Brüder - Leo G. Lindner verfolgte ihren Weg aus der sowjetischen Heimat in die weite Welt und zurück

  • Klaus Huhn
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Autor dieses Buches hat manch ungewöhnlichen Schritt gewählt, um das Leben der boxenden Goliaths Vitali und Wladimir Klitschko zu skizzieren. Er hat seitenlang bei anderen abgeschrieben und macht daraus auch keinen Hehl; er hat sogar ein Filmdrehbuch benutzt und einen gut informierten Kriminalisten engagiert. Und aus all dem eine Biografie gemixt. Leo G. Lindner geht recht großzügig mit Behauptungen und unbewiesenen Tatsachen um. Dennoch darf man sein Wagnis als durchaus gelungen bewerten.

Von den inzwischen zu Medienlegenden herangewachsenen Vitali und Wladimir Klitschko erfährt man, dass sie als Söhne eines sowjetischen Luftwaffenoffiziers aufgewachsen sind. Die aus einer jüdischen Familie in der Ukraine stammenden Hünen schafften in dem untergegangenen Staat den Sprung von namenlosen Amateurboxern zu Millionären - oder schon Milliardären? Der Autor unterschlägt nicht, dass ihre Trainer in Kiewer und Leipziger Hochschulen ausgebildet worden sind. Einer ihrer sowjetischen Trainer (Mazych) urteilt: »Während Vitali bereits ein fertiger Athlet war, erwies sich Wladimir für uns Trainer als Plastilin, als Knetmasse, aus der man alles formen konnte, was man wollte.« Und ein Mann aus der Ringecke (Solotarjew) ergänzt: »Vitali ist aus Stein, Wladimir aus Ton. Vitali war widerspenstig, Wladimir ließ sich formen. Er zerfiel aber auch schneller.«

Über die sowjetische Heimat der 1971 und 1976 geborenen Brüder konstatiert Lindner, was manchen heute verblüffen mag, aber Unvoreingenommenheit vermuten lässt: Sie setzte »auf Erden die Maßstäbe für Lebensfreude und Menschenwürde, aber auch für Edelmut und Heldentum - und noch der schäbigste Militärstützpunkt, der entrückteste Außenposten dieser überlegenen Zivilisation kündet von sowjetischer Größe und sowjetischem Ruhm. An dieser Grundwahrheit des Lebens entzündet sich ein Gefühl, das auch die ärgsten Zumutungen erträglich macht: der Stolz auf die Heimat, die im Großen Vaterländischen Krieg die Okkupanten vertrieb und 1961 den ersten Menschen ins All schoss, die der Pionier des Menschheitsfortschritts ist und darum diese Last der Erde trägt. Auf diese Überzeugung gründet auch die Erziehung im Hause Klitschko.« Soviel zur Jugend der beiden. Zum nächsten, mit Dollars gepflasterten Lebensabschnitt erfährt man: Die Wege zum Profiboxerhimmel waren hürdenreich und turbulent, führten über einen Amateurverein in Flensburg und einen Olympiasieg (Wladimir in Atlanta 1996) schließlich in den »Stall« des Hamburger Managers Kohl - der pleite ging, als sie ihn verließen und sich »selbstständig« machten.

Das Buch versichert, es würde auf alle Fragen Antwort geben, operiert aber geschickt mit offenbleibenden. Das rechtfertigt keine Kritik, dieweil Berufsboxen schon immer blanke Gaunerei war und einen neuen Gipfel erreichte, als das Fernsehen damit seine Abende füllte. Der Autor schildert einen in Hannover ausgetragenen Kampf zwischen Wladimir und dem Südafrikaner Corie Sanders. Der Ukrainer ist - wie immer - haushoher Favorit, die Halle voll. Zitat: »Zum sechsten Mal verteidigt er seinen WBO-Weltmeistertitel ... Kein Mensch traut dem Südafrikaner zu, Klitschko den Weltmeistergürtel abzunehmen, der Titelverteidiger am allerwenigsten ... Zweierlei fällt an Wladimir auf, als er im rot-goldenen Boss-Kampfmantel in die Halle einzieht: Sein Gesichtsausdruck wirkt, wenn man genau hinschaut, ein wenig gelangweilt, wenn nicht gar blasiert. Diese Gesichtszüge sollen in den nächsten 207 Sekunden entgleiten, sie werden in völlige Fassungslosigkeit übergehen. Sanders startet nach dem Gong aggressiv, ohne jeden Respekt; Wladimir wirkt überrascht, geradezu benommen. Und nach der nächsten Rechts-Links-Kombination liegt er am Boden, für Sekunden bewegungsunfähig. Er kommt mühsam auf die Beine, der Kampf wird wieder freigegeben, und Sanders überfällt ihn augenblicklich mit einer hart geschlagenen Kombination, die Wladimir erneut umwirft … es gibt kein Entkommen. In der Ringmitte schlägt er hin, der Kampf ist beendet.«

Darf, soll, muss man dem Autor glauben, dass das nicht verabredet war? Selbst Favoriten wie die Klitschkos werden langweilig, wenn sie ständig siegen. Die Zuschauer in den Hallen und an den Fernsehschirmen schwinden. Und vor allem: die Einnahmen sinken. Deshalb gehören sensationelle Niederlagen zum Profiboxspektakel. Eine Revanche füllt die Halle ein zweites Mal und auch die Kameras sind wieder aufgereiht. Der Autor dieser Zeilen stand selbst, vor 65 Jahren, in der Ringecke des Münchner Zirkus Krone und half - gut bezahlt - seinem Schützling über ein k.o. hinweg ...

Nein, kein arges Wort gegen die Klitschkos! Sie sind exzellente und vor allem zentnerschwere Boxer. Und sie beherrschen das Milieu rund um den Ring. Lindner berichtet: »Von 2002 an unterstützen sie Spendenaktionen für das weltweite UNESCO-Programm ›Bildung für Kinder in Not‹ und reisen nach Brasilien, nach Rumänien, nach Namibia. Stets werden sie dabei von Journalisten, Fotografen und Kameraleuten begleitet. Die folgen ihnen in die Slums und Favelas, in die Heime für Waisen und Notleidende.«

Wie auch immer: Lesenswert ist diese Doppelbiografie allemal, zumal Vitali nun auch in der Politik Hiebe verteilt. Ohne zu verraten, wer diesmal in seiner Ringecke steht.

Leo G. Lindner: Die Klitschkos. Biografie. Neues Leben, Berlin 2013. 288 S., geb., 19,99 €.

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