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Das zerstörte Paradies
Zhang Ling erzählt von chinesischen Einwanderern in Kanada
Eigentlich hatte Amy Smith keine Lust gehabt, nach China zu reisen. Letztlich war sie dann aber doch im kanadischen Vancouver ins Flugzeug gestiegen und nach Tsz Min geflogen. Die Denkmalbehörde der südchinesischen Stadt wollte mit ihr, die allein von der Familie Fong übrig war, alle Formalitäten für einen Treuhandvertrag zur Renovierung eines sogenannten Diulaus besprechen.
Der Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts von Amy Smiths Urgroßvater Fong Tak Fat errichtete Wohnturm soll renoviert und für touristische Zwecke erhalten werden. Als sie dann das schon lange leerstehende Gebäude betritt, ist sie fasziniert und beginnt sich für ihre Familiengeschichte zu interessieren.
In ihrem Roman »Der Traum vom Goldenen Berg« erzählt die 1957 im ostchinesischen Hángzhou geborene und seit 1986 in Kanada lebende, auf Chinesisch schreibende Schriftstellerin Zhang Ling diese Geschichte. Eine Familiengeschichte, die sich über mehrere Generationen erstreckt und eng mit der Geschichte der chinesischen Migranten in Kanada verbunden ist.
Im Zentrum steht dabei Amy Smiths Urgroßvater, Tak Fat. Auch er ist in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts fasziniert vom dem durch den Goldrausch in den Rocky Mountains enstandenen Mythos vom »Goldenen Berg«. Alle Männer, die nach Amerika gegangen waren, hatten mit dem Geld, das sie nach Hause schickten, ihren Familien zu Wohlstand verholfen.
China war zu dieser Zeit ein von Armut und politischen Unruhen geprägtes Land. Von der einstigen Größe des Riesenreichs war wenig übriggeblieben. Der Kaiser konnte nur mit Mühe sein Land zusammenhalten. Immer wieder entführten Räuber Familienmitglieder der in Amerika arbeitenden Männer und erpressten von ihnen das in Übersee hart verdiente Geld. Eine solche Entführung war auch der Grund für den Bau des Diulaus gewesen, für den Tak Fat, der mit einer Wäscherei und Landkäufen wohlhabend geworden war, für eine damals enorme Summe alle Materialien von Kanada nach China transportieren ließ. Der Diulau war Wohnhaus und Verteidigungsturm zugleich.
Zhang Ling erzählt entlang der Biographie Tak Fats von allen wichtigen Aspekten der chinesischen Einwanderung nach Kanada, vom Eisenbahnbau in den achtziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts über die Beteiligung von Zehntausenden Chinesen als Freiwillige im Ersten und Zweiten Weltkrieg bis in die Gegenwart. An manchen Stellen wirkt das wie die Abarbeitung eines Lehrbuchs zur kanadischen Migrationsgeschichte und birgt wenig Überraschendes. Zhang Ling erzählt von der Unterdrückung der Frau und von den unmenschlichen Arbeitsbedingungen, vom Rassismus und den politischen Hoffnungen.
Was nach Maos Sieg 1949 in China passierte, spielt dabei allerdings keine Rolle. Vermutlich war das für die Autorin vermintes Gelände, anderseits liegt der Schwerpunkt des Romans auf der frühen Zeit der Migration nach Kanada Ende des neunzehnten, Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts.
Ein herkömmlich erzählter Roman in wohltemperierter Schreibweise und mit einem allwissenden Erzähler: Beim Lesen mancher Szenen könnte man bereits eine detailgetreue Hollywood-Verfilmung vor Augen sehen. Dem kommen Bilder entgegen wie der Priester mit dickem Bauch oder der in Unterhosen aus dem Bordell geworfene Bürger.
Nur dass ein Drehbuchautor noch einiges umstellen und vor allem kürzen müsste, um die Geschichte, die im Buch immerhin 660 Seiten lang ist, filmgerecht aufbereiten zu können.
Zhang Ling: Der Traum vom Goldenen Berg. Roman. A. d. Chin. v. Marc Hermann. Schöffling & Co. 660 S., geb., 24,95 €.
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