Spitzelwesen wird reformiert

Obleute des NSU-Untersuchungsausschusses aus dem Bundestag zu Gast im Abgeordnetenhaus

  • Martin Kröger
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Bundestag hat in seinem Abschlussbericht zur rechtsextremen NSU-Terrorzelle Empfehlungen erarbeitet. Das Land Berlin hat einige bereits umgesetzt. Der Opposition geht das nicht weit genug.

Für die ehemaligen Obleute des Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages zum Komplex des rechtsextremen »Nationalsozialistischen Untergrundes« (NSU) war es eine Premiere. Mit dem Abgeordnetenhaus lud am Montag erstmals ein Landesparlament Clemens Binninger (CDU), Eva Högl (SPD), Hans-Christian Ströbele (Grüne) und Petra Pau (LINKE) ein. Die Parlamentarier des Berliner Innenausschusses wollten in einer Anhörung mehr über die Ergebnisse des Bundestags-Untersuchungsausschusses erfahren, der die zehn Morde und Sprengstoffanschläge des rechten Netzwerkes um Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos untersucht hatte. Neben den Bundestagsabgeordneten hatten die Piraten überdies Pinar Sarp von NSU-Watch eingeladen. Sie kritisierte Rassismus als zentrale Ursache für das Staatsversagen beim NSU, was im Abschlussbericht des Bundestages fehle.

Pünktlich zur Ausschusssitzung am Montag präsentierten die Berliner Innenbehörden unterdessen einen 44-seitigen »Zwischenbericht zur Umsetzung der parlamentarischen Empfehlungen zum ›NSU-Komplex‹ in der Polizei Berlin«. Das Abgeordnetenhaus hatte Mitte Juni in einem überfraktionellen Antrag beschlossen, die Empfehlungen des Bundestages für Berlin zu übernehmen. Laut Polizeipräsident Klaus Kandt und Innensenator Frank Henkel (CDU) ist dies zum Teil schon geschehen. Beide sprachen dabei »von dauerhaften Verbesserungen«. Demnach wird unter anderem auch das umstrittene V-Mann-Wesen beim Berliner Landeskriminalamt anders organisiert. Die Höchstverwendungsdauer von V-Mann-Führern beispielsweise ist ab sofort auf zehn Jahre begrenzt, damit die Polizisten kein zu enges Verhältnis zu ihren Spitzeln aufbauen. Über die Hälfte des Stammpersonals beim Staatsschutz wurden überdies ausgetauscht, hieß es.

Das Berliner Landeskriminalamt hatte in der Vergangenheit mehrere Spitzel, die einen Bezug zum NSU hatten. Darunter befand sich auch Thomas Starke, der bei der Kripo als »VP 562« geführt wurde und über die rechte Musikszene berichten sollte. Heute ist bekannt, dass Starke dem LKA mehrfach Hinweise gab, die wahrscheinlich direkt zu den NSU-Mördern geführt hätten, wären sie weitergeleitet worden. Bei der Einschätzung, inwiefern Berlin in den NSU-Komplex verwickelt ist, gingen die Meinungen der Bundestagsabgeordneten indes auseinander. Während die SPD-Bundestagsabgeordnete Eva Högl sagte, die Geschichte um den V-Mann Starke und die Aktenvernichtung beim Berliner Verfassungsschutz sei genug aufgeklärt, widersprachen die Grünen. »Inzwischen bin ich der Auffassung, dass Berlin und Brandenburg die Schlüsselländer sind, warum dieses Nazitrio nicht frühzeitig aufgeflogen ist«, erklärte Ströbele. Immerhin sei es der Berliner V-Mann Starke gewesen, der das Trio zu Beginn seiner Flucht versteckt habe.

Auch die Obfrau der Linkspartei, Petra Pau, kritisierte die schweren Mängel bei der Gewinnung und Führung der Spitzel bei Polizei und Verfassungsschutz. »Aus einem Instrument zur Durchleuchtung wurde ein Schutzschild für die Szene«, sagte Pau. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Clemens Binninger beklagte zwar ebenfalls die »unstrukturierte« Zusammenarbeit der Landes- und Bundesbehörden beim NSU. Dass das Land Berlin aber jetzt die Aus- und Fortbildung der Polizei verbessere und einen turnusmäßigen Austausch der V-Mann-Führer beschlossen habe, lobte der CDU-Bundestagsabgeordnete ausdrücklich.

Für die Opposition im Abgeordnetenhaus gehen die Umstrukturierungen bei der Polizei indes nicht weit genug. Aktuelle Fälle wie der Brandanschlag auf die Mevlana-Moschee und der Umgang der Kripo mit den bedrohten Mitgliedern der Initiative »Hellersdorf hilft« würden zeigen, dass noch nicht »wirklich etwas verändert« worden sei, wie Udo Wolf von der Linksfraktion betonte.

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