Die Legende vom bösen Fett

Wie man sich genussvoll ernähren und dennoch gesund leben kann

  • Martin Koch
  • Lesedauer: 6 Min.
Hören Menschen das Wort Fett, denken sie vermutlich zuerst an überflüssige Pfunde, die sie mit sich herumschleppen. Doch Fett macht nicht nur dick. Es ist ein unverzichtbarer Nahrungsbestandteil.

Neben Eiweißen und Kohlenhydraten gehören Fette zu den drei Grundnährstoffen des Menschen. In unserem Organismus erfüllen sie vielfältige Funktionen: Fette dienen der Energiegewinnung, sie schützen den Körper vor Kälte und fungieren als eine Art Transportvehikel für fettlösliche Nährstoffe. Zu nennen wären hier vor allem die Vitamine A, D, E und K, die anders als wasserlösliche Vitamine im Gewebe gespeichert werden können. Aber auch die meisten Geschmacks-und Aromastoffe sind fettlöslich. Das ist der Grund, warum stark fettreduziertes Essen eher fade schmeckt und daher häufig mit Geschmacksverstärkern »aufgebessert« wird.

Rund 30 Prozent aller Kalorien, so empfehlen Ernährungswissenschaftler, sollte ein Mensch aus fetthaltigen Nahrungsmitteln zu sich nehmen. Das wären etwa 60 bis 80 Gramm Fett pro Tag. Tatsächlich verzehrt ein Bundesbürger im Schnitt 120 bis 140 Gramm. Die Folgen sind im Alltag weithin sichtbar: Mehr als die Hälfte aller Deutschen sind zu dick. Und fast jeder Fünfte hat extremes Übergewicht (Adipositas), das gewöhnlich mit gesundheitlichen Problemen und einer merklichen Einschränkung der Lebensqualität einhergeht. Ob jemand von Adipositas betroffen ist, lässt sich leicht feststellen. Man braucht dazu nur den sogenannten Body-Mass-Index (BMI) zu berechnen, der definiert ist als das Verhältnis von Körpergewicht zum Quadrat der Körpergröße. Liegt dieser Wert über 30 Kilogramm pro Quadratmeter gilt das damit verbundene Übergewicht gemeinhin als behandlungsbedürftig.

Häufig geht Adipositas auf eine positive Energiebilanz zurück: Das Körpergewicht steigt, weil der Organismus mehr Energie in Form von Kalorien aufnimmt, als er verbraucht. Rein energetisch gesehen wäre es mithin gleichgültig, ob die überschüssigen Kalorien aus Fetten, Eiweißen oder Kohlenhydraten stammen. Oder, um es mit den Worten des Ernährungswissenschaftlers Berthold Gaßmann auszudrücken: »Eine Kalorie ist eine Kalorie ist eine Kalorie.« Allerdings bleibt hier unberücksichtigt, dass verschiedene Nahrungsmittel in unserem Körper mit unterschiedlichen Risiken behaftet sind. Ein Beispiel dafür wäre das sogenannte LDL-Cholesterin, das im Verdacht steht, bei zu hoher Konzentration im Blut koronare Herzerkrankungen zu begünstigen.

Wer bestrebt ist, eine überkalorische Ernährung zu vermeiden, sollte auch den Fettverzehr durchaus kritisch im Blick behalten. Denn ein Gramm Fett enthält doppelt so viele Kalorien wie die gleiche Menge an Kohlenhydraten oder Eiweißen. Fett ist zudem stark konzentriert. Das heißt, während man für 500 Kohlenhydratkalorien schon eine ordentliche Portion Nudeln verspeisen muss, hat die gleiche Menge an Fettkalorien in einer einzigen Bratwurst Platz. Für Menschen, die ihre Kalorien großenteils aus fettreichen Lebensmitteln beziehen, kann das leicht zum Problem werden. Denn sie können ihren Tagesbedarf decken, ohne dabei besonders viel essen zu müssen. Da kleine Speiseportionen die Magenwand jedoch weniger dehnen, fehlt der rechte Sättigungseffekt bzw. der physiologische Anreiz, mit dem Essen aufzuhören. Das zusätzlich aufgenommene Fett deponiert der Körper anschließend im Fettgewebe.

Wie aus einer Studie hervorgeht, resultiert der hohe Fettverbrauch der Deutschen zu etwa 31 Prozent aus dem Verzehr von Streichfetten (Butter, Margarine etc.) und Ölen, die mit Vorliebe zum Braten verwendet werden. Weitere wichtige Fettlieferanten sind Fleischwaren (19 Prozent) und Milchprodukte (14 Prozent).

Eine fettarme Ernährung wird aus medizinischer Sicht aber nicht nur Übergewichtigen empfohlen. Vieles deutet darauf hin, dass dadurch generell das Risiko für verschiedene Stoffwechsel- und Herzkreislauferkrankungen gemindert sowie die Bewegungsfähigkeit gefördert wird. Gleichwohl gehört zu einer gesunden Ernährung auch eine ausreichende Versorgung mit Fett. Denn Fett ist nicht nur ein Ballast, sondern auch ein Polster, das uns vor mancherlei äußeren Einwirkungen schützt. So wird etwa durch die Fettansammlung in den Fußballen jeder Schritt oder Sprung abgefedert. Wichtiger noch: Ohne die Aufnahme von Fetten, die in der Muttermilch enthalten sind, würde sich das Gehirn eines Neugeborenen nur unzureichend entwickeln. Aber nicht nur das Gehirn besteht zu wesentlichen Teilen aus Fett. Auch der Isoliermantel von Nervenfasern, die sogenannte Myelinscheide, wird aus fetthaltigen Stoffen gebildet. Dank dieser elektrisch isolierenden Schicht können Informationen im Nervensystem schnell und effizient weitergeleitet werden.

Bei aller notwendigen Fettversorgung des Körpers sollte man eines indes nicht aus dem Auge verlieren: Fett ist nicht gleich Fett. In der medizinischen Ratgeberliteratur spricht man sogar von »guten« und »schlechten« Fetten, die, obwohl sie nach dem gleichen Prinzip aufgebaut sind, einen entscheidenden Unterschied aufweisen: Die Fettsäuren, die in natürlichen Fetten vorkommen, sind entweder gesättigt oder ungesättigt.

Gesättigte Fettsäuren findet man vor allem in tierischen Fetten, etwa in Milchfett, Rindertalg und Schweineschmalz. Einfach oder mehrfach ungesättigte Fettsäuren kommen in vielen pflanzlichen Nahrungsmitteln vor, zum Beispiel in Nüssen, Avocados und Rapsöl. Als gut bzw. gesund gelten jene Fette, die reich an ungesättigten Fettsäuren sind. Sogenannte schlechte Fette enthalten dagegen viele gesättigte Fettsäuren, von denen man annimmt, dass sie das Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen erhöhen. Für Ernährungsexperten besonders interessant sind die sogenannten essenziellen Fettsäuren, die, wie der Name schon sagt, für unseren Organismus unentbehrlich sind - für den Aufbau von Körperzellen ebenso wie für einen aktiven Stoffwechsel.

Zu den essenziellen Fettsäuren, die wir über die Nahrung aufnehmen müssen, gehören auch die Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren. »Sie verbessern die Fließfähigkeit des Blutes und beugen Herz- und Kreislauferkrankungen vor«, sagt Dr. Wolfgang Reuter, Gesundheitsexperte bei der DKV Deutsche Krankenversicherung. »Wer auf eine fettfreie Ernährung achtet, beispielsweise im Rahmen einer Diät, sollte daher nicht auf Nahrungsmittel mit essenziellen Fettsäuren verzichten.« Ansonsten seien die Betroffenen anfälliger für Infektionen oder müssten Hautveränderungen befürchten. Omega-3-Fettsäuren sind in fettreichen Seefischen (Hering, Makrele, Lachs etc.) sowie in Lein-, Walnuss- und Sojaöl enthalten. Für eine gesunde Ernährung sei es daher ratsam, so Reuter, regelmäßig Fisch zu essen und beim Kochen Butter durch Sojaöl zu ersetzen. Wer Fisch nicht mag, kann sich Fischöl-Kapseln als Nahrungsergänzung in der Drogerie kaufen. Ob solche Produkte aber tatsächlich geeignet sind, das Herzkreislaufsystem zu schützen, ist unter Wissenschaftler umstritten. Zudem nährt eine neue Metaanalyse aus Großbritannien Zweifel an der strikten Unterscheidung von guten und schlechten Fetten. Daraus allerdings den Schluss zu ziehen, dass ein zügelloser Konsum von Frikadellen und Schweinshaxen unproblematisch sei, wäre angesichts der hohen Zahl von Überwichtigen in Deutschland mehr als fahrlässig. Zudem weiß niemand, wie robust die neuen Studienergebnisse sind. An Kritikern daran fehlt es bereits jetzt nicht. Und so sieht auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) derzeit keinen Grund, ihre Richtlinien zu verändern. Bei einem täglichen Verzehr von 60 bis 80 Gramm Fett, so lautet ihre Empfehlung, sollte der Anteil an gesättigten Fettsäuren den Grenzwert von 20 Gramm nicht überschreiten.

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