Virtuelle Körperwelten

In den Sophiensaelen vernabelt die japanische Tänzerin Yui Kawaguchi sich und ihr Publikum

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 4 Min.
Mit »MatchAtria« präsentiert sie derzeit in den Sophiensaelen eine multimediale Tanzinstallation, die auf poetische Weiseden Matcha der Teezeremonie mit dem Herzen, genauer seinem Vorhof Atria verknüpft.

Ein japanischer Teemeister des 16. Jahrhunderts hat offenbar die Anregung gegeben: Man solle jenen, mit denen man sich beim Trinken zusammenfindet, sein ganzes Herz schenken, zitiert ihn der Programmzettel. Yui Kawaguchi, seine seit 2005 in Berlin lebende und hier vielfältig wirkende Landsfrau, hat diesen Rat so tief verinnerlicht, dass sie ihn zur Basis eines neuen Stücks nahm. Mit »MatchAtria« präsentiert sie derzeit in den Sophiensaelen eine multimediale Tanzinstallation, die beides auf poetische Weise verknüpft: den Matcha der Teezeremonie mit dem Herzen, genauer seinem Vorhof Atria. Daraus ist gemeinsam mit dem Filmregisseur und Visual Artist Yoshimasa Ishibashi ein dreiviertelstündiges Gesamtkunstwerk von so überraschender wie entspannender Geschlossenheit geworden.

Hierfür wird die Szene im Festsaal der Sophiensaele mit nicht geringem Aufwand zum Salon für nur 30 Zuschauer. Dicht sitzen sie mit Blick auf eine Leinwand, vor der reglos die Tänzerin steht. Jeder Gast ist verkabelt: Neben Ohrhörern und 3D-Brille erhält er einen weißen »Igel«, ein weichplastisches Herzmodell mit angedeuteten Aortaausgängen, drinnen ein alsbald pochendes Silikonherz.

Dann nimmt uns Yui Kawaguchi mit auf eine Reise - durchs Universum ebenso wie durch den Mikrokosmos des Körpers. Tee wird nicht gegenständlich eingeschenkt, wohl aber hört man Stimmengeflüster, bald im rechten, bald im linken Ohr, und das Gluckern des in klappernde Tassen fließenden Getränks. Ansagen werden gemacht, Schritte hallen. Auf japanische Art kniend grüßt die Tänzerin, derweil im Film Blasen sie umfliegen und in den Raum drängen. Die Herzen in den Händen leuchten auf und auch eine Glaskugel neben Kawaguchi. Wie eine Partitur nimmt sie die Geräuschkulisse - ob knarrende Tür oder Getrappel - auf und setzt sie in gestische Bewegung um, biegsam, kontemplativ, im Film von roten Flocken, Blutkörperchen vielleicht, umweht. Da fährt ein Pendel herab, daran ein Mikrofon, das sie sich an das Revers ihres schwarzen Overalls steckt. Erstmals hören wir nun direkt ihren Herzschlag als ein Vibrieren des »Igels« und fühlen uns ihr verbunden. Das schafft eine Intimität zwischen Aktrice und Auditorium, wie sie sonst kaum je möglich ist. Auf der Leinwand löst sich gerade ihre Figur in wabernde, drehende Nebel auf, die in oszillierende Sterne übergehen, aus denen wiederum eine Garde winziger Menschlein wird. Einzig lebendig in dieser virtuellen Welt ist die Tänzerin, und doch ist, was man sieht, hört, fühlt, mit ihrer Leiblichkeit verknüpft: eine einzigartige Erfahrung, die alle zu einer Einheit verschmilzt.

Anfangs leises Klavierspiel, später treibende Percussion setzt den Tanz in Gang, der stets am Platz verharrt und mit dem die Tänzerin doch eine Welt kreiert und uns daran teilhaben lässt. Nach heftiger Gestik, wie sie zur Teezeremonie gehören mag, in ihrer Semantik indes nicht zu erschließen ist, schaltet sich erneut das leuchtende Silikonherz ein: Rasend geht da der Puls der Tänzerin, Sterne schwirren, als seien sie die Moleküle in ihrem Körper. Zusammen mit ihr durchreisen wir die Landschaft um einen Fluss und münden im Ozean. Sie selbst kontrahiert zum Punkt und verschwindet, als löse sie sich in der Natur auf.

Wieder wird Tee eingegossen, hockt Yui Kamaguchi, geht wie eine Geisha in den Seitsitz, deutet mit den Händen zunehmend schneller Flüstertexte aus. Wieder vibriert dabei auch das illuminierte Kunstherz in den Hände der Zuschauer, während grafische Raster über die Leinwand eilen, konische Quadrate etwa, die räumliche Tiefe erlangen. Als das Herz der Tänzerin vernehmbar laut pocht, der Klang sich dem eigenen Herzrhythmus addiert, verabschiedet sich die Stimme vom Band auf japanisch mit Sayonara, Yui Kawaguchi erlischt in völlige Stille hinein.

Zu Ende ist die Fahrt durch ihre Physis, durch Blutbahnen und Neuronenstränge, abgetrennt sind wieder die Aktrice und ihre Zuschauer. Für einen Moment aber ist zustande gekommen, was sich jeder Bühnenkünstler wünschen dürfte: das Verschmelzen von Szene und Saal zum pulsierenden Miteinander. Dem hätte man gern länger beigewohnt.

Bis 22.2., Sophiensaele, Sophienstr. 18, 10178 Berlin, Kartentelefon: (030)283 52 66; www.sophiensaele.com

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