Zu viel Logik des Marktes
Wertschöpfungskettenansatz im Entwicklungsministerium findet nur geteilte Zustimmung
Entwicklungsminister Gerd Müller führt das sperrige Wort regelmäßig im Munde: Wertschöpfungskettenansatz. Kaum eine Rede vergeht, ohne dass dieses Wort fällt, so Niema Movassat, der für die Linkspartei als Obmann im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sitzt. Gerd Müller (CSU) verkauft diesen Ansatz zwar nicht als Zauberformel, doch für einen großen Wurf hält er ihn schon. Die Zielsetzung dabei: Kleinbauern in koordinierte Wertschöpfungsketten zu integrieren, um damit Ernährung zu sichern, Einkommen zu schaffen und Armut zu bekämpfen. Der Begriff Wertschöpfungskette beschreibt die Stufen vom Ausgangsmaterial bis zum Endprodukt, wobei generell die Wertschöpfung mit dem Verarbeitungsgrad steigt. Vereinfacht ausgedrückt geht es darum, Kleinbauern und ihre Produkte marktfähig zu machen. Die Mittel: Modernisierung der Produktion und Gewährleistung stabiler Absatzkanäle.
Das Potenzial ist fraglos groß: 500 Millionen Kleinbauernfamilien - davon 100 Millionen in Afrika - bewirtschaften maximal 2 Hektar. Sie stellen 85 Prozent der in der Landwirtschaft aktiven Weltbevölkerung und produzieren rund 70 Prozent der Lebensmittel; mit viel Arbeitskraft und wenig Technologie.
Der hört sich verheißungsvoll an: Kleinbauernfamilien, die bisher Subsistenzwirtschaft betreiben und wenn überhaupt nur in geringem Maße Überschüsse erzeugen, die sie auf informellen Märkten lokal loszuschlagen versuchen, sollen in die Lage versetzt werden, mehr und besser zu produzieren, im besten Fall in Supermarktqualität für den Weltmarkt, aber zumindest für die wachsenden städtischen Binnenmärkte des Globalen Südens. Auf formellen Märkten lassen sich in der Regel höhere Preise erzielen, ein Ausweg aus der Armutsfalle tut sich auf. Soweit die Theorie.
«Wertschöpfung für wen?» Unter dieser Fragestellung lud Movassat vergangenen Mittwoch zu einem Fachgespräch in den Bundestag, um die Chancen und Risiken des Wertschöpfungskettenansatzes für die ländliche Entwicklung zu erörtern. Entwicklungsminister Gerd Müller selbst war nicht präsent, doch mit Stefan Schmitz ein hochrangiger Vertreter des Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), seines Zeichens Leiter der Sondereinheit «EineWelt ohne Hunger». Davon ist man angesichts von derzeit 805 Millionen Hungernden ein großes Stück entfernt, doch eben drum hat das BMZ das Thema ländliche Entwicklung nach Jahrzehnten der Vernachlässigung wieder aufgewertet: «Das Vierfache an Mitteln im Vergleich zu vor sieben, acht Jahren werde inzwischen in ländliche Entwicklung» investiert, betonte Schmitz.
Der Wertschöpfungskettenansatzes gehöre zum etablierten entwicklungspolitischen Instrumentarium, nur dass ihm im Zuge der «Sonderinitiative »EineWelt ohne Hunger« ein höherer Stellenwert zugewachsen sei. Mit einer Kombination aus Innovationsförderung plus Wertschöpfungsketten (WSK) könnte die ländliche Entwicklung auf eine neue Stufe gehoben werden, so die Vorstellung des BMZ. Global würden 80 bis 90 Prozent des Produktionswachstums im Agrarsektor inzwischen auf Innovation und mehr Wissen beruhen, in Afrika jedoch nur ein Bruchteil. Das will das BMZ ändern: Mehr mit weniger Mitteleinsatz zu produzieren, soll auch in Afrika künftig möglich sein.
Um modernes landwirtschaftliches Wissen in die Praxis umzusetzen, will Deutschland mit regionalen Partnern vor allem in Afrika mindestens zehn grüne Innovationszentren aufbauen. In Mali wurde 2014 das erste von Gerd Müller höchstpersönlich eingeweiht, Weitere Standorte werden geprüft, unter anderem in Äthiopien, Kenia, Sambia oder Togo. Die Kleinbauern fit für den Markt machen, damit sie vor allem die Nachfrage an Lebensmitteln aus den Städten des Globalen Südens abdecken könnten, ist laut Schmitz die Zielsetzung. 1,4 Milliarden Euro steckt das BMZ 2015 in die ländliche Entwicklung - etwa ein Fünftel seines Etats.
Theorie und Praxis in einer Person vereint Theo Rauch. Der emeritierte Professor für Geographie mit Schwerpunkt Entwicklungspolitik arbeitete in Afrika und Asien unter anderem als Gutachter für die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ), die seit der Fusion 2011 unter dem Dach der GIZ firmiert. Seine Grundthese: Der WSK-Ansatz ist zwar unverzichtbar, aber derzeit von einer zu starken Orientierung auf den Markt geprägt. Unverzichtbar, weil inzwischen auch in ländlichen Räumen nahezu alle Menschen ein Bargeldeinkommen und Marktzugang bräuchten, um ihre Bedürfnisse befriedigen zu können. Die Schätzungen, wie viele Kleinbauern bereits in formelle Marktstrukturen integriert sind, reichen von zwei bis maximal 25 Prozent. Vulgo: Die Mehrheit ist trotz WSK-Ansatz nach wie vor ausgeschlossen und das hat nach Rauch einen Grund: Der Ansatz entspricht nur der Logik der Märkte, vernachlässigt aber die Logik der Menschen. Damit ein entwicklungspolitischer Schuh daraus wird, müssten Marktlogik und die Interessen der Menschen zusammengebracht werden. Das BMZ könnte dabei weit mehr als bisher eine Rolle als ehrlicher Makler spielen und müsste dafür die Menschen und ihre Potenziale statt der Märkte als Ausgangspunkt nehmen und zudem die Marktasymmetrien zu Ungunsten der Kleinbauern berücksichtigen, damit »faire Chancen entstehen«.
Dass Wertschöpfungsketten Potenzial für Kleinbauern bieten, illustrierte Benjamin Luig von Misereror: Die Verarbeitung von Ananas in Uganda beispielsweise zu Saft erhöhe das Einkommen im Vergleich zum Verkauf der Früchte um das Zwanzigfache. Jedoch vermisst er beim WSK-Ansatz à la BMZ ein ganzheitliches Denken, das beispielsweise die Geschlechterfrage und den Wechsel zwischen formellen und informellen Märkten, wie er für viele Kleinbauern üblich sei, mit einbezieht.
So unterschiedlich der WSK-Ansatz en detail auch beurteilt wird: Darin, dass das Agrarpotenzial gerade in Afrika besser erschlossen werden muss, waren sich alle einig. Über die Wege wird weiter gestritten - bei diesem Fachgespräch konstruktiv.
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