Ein Buch, das seine Leser ärgern will

«Das Museum von Eternas Roman» des Argentiniers Macedonio Fernández

  • Ute Evers
  • Lesedauer: 4 Min.

Erster guter Roman« - schon der Untertitel provoziert. Er habe einen Roman kreieren wollen, »der endlich einmal nicht eine getreue Kopie der Realität ist«, denn »Kunst beginnt erst jenseits jeglicher Form von Wahrheitswiedergabe«, schreibt Macedonio Fernández. »Das Museum von Eternas Roman«, 1929 verfasst, 1967 in Argentinien posthum veröffentlicht, liegt jetzt erstmals auf Deutsch vor - in einer schönen Ausgabe noch dazu.

Sechzig unterschiedlich lange Prologe und ähnliche Texte stellt der Autor der eigentlichen Handlung voran. Über 175 Seiten! In ihnen legt er seine literarische Position aus verschiedenen Perspektiven dar. Was er keinesfalls wollte, »dass eine Figur zu leben scheint, was immer geschieht, wenn der Leser sich einbildet, das Geschehen sei real«. Seine Diskurse verbindet er mit Themen wie Existenz, Erinnerung, Bewusstsein, Vergänglichkeit oder Traum und Wirklichkeit, die er auch zum Anlass nimmt, kritisch auf Berühmtheiten einzugehen. Ob es sich um Kant, Hegel oder Descartes, Cervantes, Beethoven oder Walt Whitman handelt. Den einen kann er nur bissige Kritik abgewinnen, den anderen hingegen künstlerische Wertschätzung.

Zur Literatur zählen schließlich auch die Leser. Über sie räsoniert der Autor-Erzähler in kongenial ironischem Unterton ebenfalls. Besonders dem »sprunghaften Leser« fühlt er sich nahe. »Dir widme ich meinen Roman, sprunghafter Leser; du wirst mir ein ganz neues Gefühl verdanken: das der geordneten Lektüre. Der disziplinierte Leser wird hingegen die ungewohnte Erfahrung einer sprunghaften Lektüre machen, wenn er dem Text eines sprunghaften Autors folgt.«

Die Prologe scheinen endlos. Tatsächlich vertraut uns der Autor an, dass er etwas hinauszuzögern versuche. Schließlich ginge jedem Anfang (des Romans) auch gleich ein Ende voraus. Um was geht es nun in dem umfangreich angekündigten »ersten guten Roman«? Es ist schwierig, einen stringenten Plot auszumachen. Vielleicht könnte er so lauten: Der Präsident hatte beschlossen, sein Leben künftig der Freundschaft zu widmen. Daher versammelt er in einem Haus, das »La Novela«, der Roman, heißt, einige Figuren: Eterna, die Herzallerliebste, Quasigenius, der Treue Liebhaber und Simpel. Seine Bedingung lautet, die Vergangenheit zu vergessen, um auf diese Weise das ewige Glück zu finden.

»La Novela« liegt in der Nähe von Buenos Aires. Dorthin schickt der Präsident die Figuren, damit sie die Hauptstadt erobern und sie von ihrer Hässlichkeit befreien. Während »La Novela« eine Welt des Traumes bedeutet, ist die Hauptstadt Realität. Zu jener Zeit, zwischen den 1920ern und den 1930ern, gab es zwei gegensätzliche Lager, die sich in erbittertem Hass gegenüberstanden. Diese will der Präsident durch seine Aktion vereinigen. Eine politische Lesart? Womöglich.

Letztlich ist der Roman Eterna, der Unvergänglichen, gewidmet. Es geht also auch um Liebe und Leidenschaft, »ein unabkömmlicher Motor«. Ob intellektuelle Perfektion (Präsident) neben »wahrer, totaler« Liebe (Eterna) existieren kann? Auch darum geht es.

Das hört sich nach einem flüssigen Plot an, wenn nicht die Figuren die Initiative ergreifen würden. Der Autor-Erzähler hat Mühe, sie unter der Tyrannei seiner Feder zu halten. Sie melden sich selbstständig zu Wort, verspüren den Wunsch zu leben und wollen schließlich selbst einen Roman schreiben. Anarchie im Roman? Aufstand der Figuren? Für den disziplinierten Leser wird die Lektüre auf jeden Fall eine Herausforderung.

Und das Ende? Es gibt keines. Es gibt »viele lose Enden«, einen akademischen Tod und die Option des Erzählers , dass »jeder zukünftige Autor diesen Roman korrigieren und publizieren« könne, »mit oder ohne Erwähnung meines Werkes und Namens«.

Der Roman, der seine Leser »ärgern will ... mit seinen falschen Versprechungen«, kommt einem literarischen Manifest oder einer (kafkaesken) Romantheorie nahe. Realität und Fiktion verschmelzen hier ebenso wie literarische Gattungen, von Prosa über Poesie und Drama mit Dialogpassagen bis hin zum philosophischen Essay. Es ist ein interaktiver »Roman«, in dem der Autor die Figuren und die Leser in seine oft von einer Kette von Assoziationen begleiteten Reflexionen einbezieht.

Ob Kunstroman, Anti-Roman oder Vorreiter des Experimentalromans, Macedonio Fernández (1874-1952) war seiner Zeit voraus. Die Prosa eines Jorge Luis Borges oder Julio Cortázar, auf die Macedonio Fernández Einfluss nehmen würde, lag noch in der Ferne. Sein Werk blieb in Argentinien indes eine Randerscheinung, bis ihm Ricardo Piglia Jahre später in dem Roman »Die abwesende Stadt« (1992, dt.: 1994) die verdiente literarische Anerkennung zugesteht.

Macedonio Fernández: Das Museum von Eternas Roman (Erster guter Roman). Aus dem Spanischen von Petra Strien, mit einem Nachwort von Gerhard Poppenberg. Die Andere Bibliothek. 421 S., geb., 36 €.

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