»Augenblicksblüten«
Erwin Einzinger durchstreift in seinem Roman »Ein kirgisischer Western« nahe und ferne Ziele
Der österreichische Schriftsteller Erwin Einzinger nennt sein Buch einen »kirgisischen Western«, was der Leser allerdings nicht allzu ernst nehmen sollte. So witzig, abwechslungsreich und zuweilen auch bitterböse dieser »Roman« geschrieben ist, nach einer fortlaufenden Handlung, einem Roman-»Helden« oder vielleicht nach dem Autor selbst fahndet man zunächst erst einmal vergeblich. Vielmehr hat man es hier eher mit einem Anti-Roman zu tun, der aus lauter »Bröseln« (ein Begriff daraus) besteht, die scheinbar nur wenig miteinander zu tun haben und so zufällig vermischt sind wie fremde Menschen in einer Großstadtstraße - oder Kanarienvögel, die ein bärtiger Alter in einem Rundkäfig hält. Letzteres Bild ist ein solches Brösel oder eine »Augenblicksblüte« (Erwin Einzinger), die man lesen, bedenken oder auch überlesen kann.
Mit Pistolen geschossen wird in diesem »Western« nicht, nur mit Worten. Und was Kirgisien anbelangt, so ist es wohl nicht gerade das bevorzugte Fernziel eines in der Welt herumreisenden Westeuropäers, womit wir allerdings seinem, bzw. unserem Wunschdenken schon näherkommen. »Erst spät - etwa zu Beginn der Erntezeit - beschloss der eingangs Erwähnte dann ganz überraschend tatsächlich aufzubrechen, wenngleich zunächst einmal nur in Richtung jener bestenfalls etliche Tagesmärsche entfernten ... Stadt. Eine Frau, die ihn ein Stück weit begleiten wollte, meinte, «sein Ziel sei die einst größte Stadt der Welt gewesen: »Xi’an in der chinesischen Provinz Shaanxi«. Das ist zwar nicht ganz Kirgisien, aber auf kleinen Karten nicht allzu weit davon entfernt und so etwas wie Wildwest oder Wildost.
Mit dem Wanderer und seinem ewigen Weiterwandern haben wir wenigstens so etwas wie einen »roten Faden« des Buches gefunden. In Gedanken durchstreift er nahe und ferne Gegenden, Norwegen beispielsweise oder Italien, vorrangig aber die Alpen, wo ihn besonders die Goldwäscherei interessiert, eine Beschäftigung, die Schreiber wie Leser zu Überlegungen betreffs Gold- und Reinwäscherei anregt.
Es nimmt nicht wunder, dass unser Welt-Wanderer geistige Umwege über italienische Freskenmalerei und Musik von Schostakowitsch macht oder philosophisch-psychologische Ausflüge zu Nietzsche, Benjamin und - natürlich nicht zu vergessen - zu Freud unternimmt. Letztendlich landet er allerdings immer wieder bei ziemlich »normalen« Menschen in ihren Kleinbürgerkolonien. Übrigens sind bei den Begegnungen die Frauen die aktiven: Tanzlehrerinnen, Sängerinnen, Comic-Zeichnerinnen, Traktorfahrerinnen, Historikerinnen, Ideenfinderinnen. Und die Männer?
Einmal taucht ein Journalist auf, aber die meisten sind »Pensionisten«, ehemalige Künstler, die vergeblich Verjüngung oder Lebenssinn in einem Erholungsheim in den Beskiden suchen. Das Paradies, sagte einmal einer, liege nicht im Jenseits, sondern im Diesseits. Eine Frau ist es auch, die sich mit Comic-Zeichnen (von kirgisischen Western?) durchs Leben schlägt, während der alternde Ewigwanderer bei Regen und mit vagen Wunschvorstellungen seinen Lebensweg durchläuft. Da ist nur zu hoffen, dass er irgendwann einmal Freuds belastendes Erbe loswird, was allerdings einem Österreicher schwer fallen sollte.
Erwin Einzinger: Ein kirgisischer Western. Roman. Verlag Jung und Jung. 471 S., geb., 24,90 €.
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