Lebenslang als Option
Experten empfehlen Änderungen am Mordparagrafen, aber keine grundlegende Reform
Mord soll nicht mehr automatisch zu lebenslanger Freiheitsstrafe führen, Richter sollen auch mildernde Gesichtspunkte berücksichtigen dürfen - das sieht der Abschlussbericht einer Expertenkommission vor, die Vorschläge zur Reform des Mordparagrafen erarbeitet hat. Auf der anderen Seite plädieren die Juristen für Verschärfungen, beispielsweise eine höhere Mindeststrafe für Fälle von Totschlag, die vom Gericht als »minder schwer« eingestuft werden.
Justizminister Heiko Maas (SPD) hatte die 16-köpfige Runde aus Wissenschaftlern, Richtern und Staatsanwälten vor einem Jahr mit der Arbeit beauftragt. Die Ergebnisse sollen noch in dieser Legislatur in ein Gesetz münden. Gelingt das, wäre diese Reform eine der schnellsten und zugleich überfälligsten: Das Vorhaben steht nicht im Koalitionsvertrag, allerdings fordern Fachleute seit Jahrzehnten vergeblich Änderungen. Die derzeit gültige Fassung stammt noch aus der Nazizeit.
§ 211 Mord (1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.
(2) Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, einen Menschen tötet.
§ 212 Totschlag
(1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.
(2) In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen. Die Polizei registrierte 1995 mehr als 1200 Morde, heute sind es nur noch 630. Eine Entlassung aus dem Gefängnis ist frühestens nach 15 Jahren möglich. Wegen Mordes Verurteilte sitzen im Durschnitt 20 Jahre im Gefängnis. Die Hälfte noch deutlich länger. nd
Was an der Rechtslage problematisch ist, verdeutlicht am besten der klassische »Haustyrannenfall«: Da verprügelt ein Mann seit Jahren seine Frau und einmal ist sie am Ende tot. Totschlag. Da ist die Ehefrau, die von ihrem Gatten seit Jahren misshandelt wird und ihm eines Tages Gift ins Essen mischt. Sie ist eine Mörderin, die heimtückisch ihr wehrloses Opfer ins Jenseits beförderte. Bei dem Mann hat das Gericht beim Strafmaß Spielraum, bei der Frau nicht: Sie bekommt lebenslänglich.
In der Praxis versuchen Richter in solchen Fällen dennoch mit einigen Verrenkungen, Recht und Gerechtigkeit einander anzunähern. »Es ist das Verdienst der Gerichte, dass sie dieses schlechte Gesetz überhaupt anwendbar gemacht haben«, meinte Justizminister Maas einmal. Die Kreativität bleibt dennoch Willkür.
Ins Rollen gebracht hat die aktuelle Debatte der Deutsche Anwaltverein (DAV) im Jahr 2013 mit einem Vorschlag, die Unterscheidung zwischen Mord und Totschlag aufzuheben. Statt dessen sollte ein neuer Paragraf »höchststrafwürdige und nicht höchststrafwürdige Tötungsdelikte« definieren und Strafen von mindestens fünf Jahren bis lebenslänglich differenzieren. Die Expertenkommission wollte sich dem in der Mehrheit nicht anschließen, empfiehlt aber in ihrem 900 Seiten starken Bericht, die Begriffe »Mörder« und »Totschläger« aus dem Strafgesetzbuch zu streichen. Ganz beseitigt würden die Spuren der »Tätertypenlehre« der Nazizeit damit allerdings nicht.
So soll es die Unterscheidung von Mord und Totschlag weiter geben, ebenso umstrittene sogenannte Mordmerkmale wie »Heimtücke« oder »niedrige Beweggründe«, worunter im Zweifel alles gefasst werden kann, was gesellschaftlich gerade als »verwerflich« gilt. Bestraft würde also noch immer nach Gesinnung und nicht, wie bei anderen Straftaten üblich, das objektive Tatgeschehen. Die Kommission rät vielmehr, den Kriterienkatalog zu modernisieren, und künftig auch Tötungen wegen des Geschlechts, der ethnischen Herkunft, des Glaubens oder aus rassistischen Beweggründen als Mord zu ahnden.
Der DAV ist dennoch zufrieden. Durch die Flexibilisierung bei den Freiheitsstrafen könnten die Gerichte zu gerechteren Urteilen kommen, »ohne das Recht überdehnen zu müssen, um ungerechte Urteile zu fällen«, erklärte Rechtsanwalt Rüdiger Deckers für den Verband.
In der Fachwelt erntet der Justizminister Anerkennung für sein Vorhaben, in der breiten Öffentlichkeit macht er sich damit keine Freunde. In den Kommentaren im Internet kochte die Empörung am Montag bereits hoch. Unionspolitiker reagierten erwartungsgemäß ablehnend. »Völlig sinnlos und gefährlich« sei die Reform, war von Hessens Justizministerin Eva Kühne-Hörmann (CDU) zu hören, im Bundestag kündigte Elisabeth Winkelmeier-Becker, Sprecherin für Recht und Verbraucherschutz, an, nichts zu unterstützen, was darauf hinausläuft, »die von den Menschen in diesem Lande in ihrer übergroßen Mehrheit als gerecht erachteten Bestrafungen von schlimmen Tötungsverbrechen mit der lebenslangen Freiheitsstrafe aufzuweichen«. Die Abweichung müsse die Ausnahme bleiben, so Winkelmeier-Becker.
Dass die Regel zur Ausnahme werden könnte - was die Union befürchtet, würden andere begrüßen. »Jede Einschränkung der lebenslänglichen Freiheitsstrafe ist richtig«, sagt der Bremer Strafverteidiger Hartmut Pollähne vom Republikanischen Anwältinnen- und Anwälte Verein (RAV). Aus Sicht des RAV löst das die Probleme mit dem Mordparagrafen aber nicht, dafür müsste man die lebenslange Freiheitsstrafe vollständig abschaffen. »Sie ist eine absolute Strafandrohung, für die es keinen vernünftigen, sondern nur irrationale Gründe gibt«, so Pollähne. Die Debatte um Mordmerkmale hält er für zweitrangig. Auch LINKE und Grüne hätten nichts dagegen, wenn der Justizminister mit seinem Gesetzentwurf über die Vorschläge der Kommission hinausginge.
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