Wildgewordene Mini-NSA

Verfassungsschutz außer Kontrolle? Journalisten und ihre Informanten werden des Landesverrats beschuldigt

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.
Urplötzlich lässt der Generalbundesanwalt das Ermittlungsverfahren wegen Landesverrats gegen die Blogger von »netzpolitik.org« ruhen. Dass es eines gibt, bleibt eine Schande für den Rechtsstaat.

Was ist einer, der fremde Nachrichtendienste beim Untergraben unserer Bürgerrechte gewähren lässt? Was ist einer, der rechtsextremistische Terrorkomplexe partout nicht aufklärt? Richtig, so einer ist Deutschlands Generalbundesanwalt. Es ist höchste Zeit, diesen Harald Range (67) endlich in den heimischen Ohrensessel zu drücken. Jedes weitere Wort über diesen obersten deutschen »Ermittler«, der sich nun an der Pressefreiheit vergeht, wäre eines zu viel.

Umso mehr muss man sich mit dem »Apparat« befassen, der Range auf solch verfassungsabseitige Wege lenkt. Dazu gehört Hans-Georg Maaßen, Präsident einer Bruderschaft, die sich den irreführenden Namen Verfassungsschutz angeeignet hat. Der Geheimdienst schickte Range per Strafanzeige vor. Warum? Vordergründig, weil die Blogger von »netzpolitik.org« anhand zugespielter Dokumente aufzeigt hatten, wie Maaßens Behörde planmäßig und organisiert Teile der Bevölkerung noch besser bespitzeln will. Dabei zitierten die Journalistenkollegen - wie übrigens andere auch - aus dem Haushaltsplan des Verfassungsschutzes, das dem Vertrauensgremium des Bundestages zur Begutachtung vorlag. Sicher, das Dokument ist als »Verschlusssache - vertraulich« eingestuft und womöglich hätte man die Informationen etwas eleganter unters Volk bringen können. Aber der Inhalt ist entscheidend. Es geht unter anderem um den Aufbau einer neuen Einheit zur Überwachung des Internets, die Verbindungen und Profile von »Radikalen« und »Extremisten« in sozialen Netzwerken wie Facebook analysieren und überwachen soll. Dass das ein Geheimnis sein soll, aus dessen Kenntnis fremde Mächte einen Vorteil zum Nachteil der Bundesrepublik Deutschland ziehen könnten, ist absurd. Dass die Kölner Behörde sich im Innern der Republik als Mini-NSA aufspielen möchte, ist wohl keinem Beobachter verborgen geblieben. Unterschätzen sollte man die »Kleinen« jedoch nicht.

Es ist ja verständlich, dass Überwacher ungern überwacht werden. Doch genau das ist ein wesentlicher Zweck von Journalismus und verfassungsmäßig gesichert. Wer daran rüttelt, muss sich nach seinem Demokratiebild fragen lassen. Denn gerade dann, wenn die dafür gesetzlich Zuständigen ihre Kontrollpflicht nicht ausüben oder nicht ausüben können, kommt es auf Journalisten an, die in Zusammenwirken mit gewissenhaften Politikern und beherzten Whistleblowern staatliche Tabus brechen. Immer öfter verbirgt »der Apparat« mutmaßlich kritikwürdiges Handeln in der Tabuzone »exekutiver Eigenverantwortung«. Beamte definieren - unterstützt von Regierungsorganen - das zu schützende Staatswohl beliebig selbst. Der oberste Geheimdienststaufseher in Merkels Kanzleramt, Staatssekretär Klaus-Dieter Fritsche (CSU) hat es den Abgeordneten im NSU-Ausschuss gnadenlos ins Gesicht gesagt: Was ihr erfahren dürft, das bestimmen wir! Wir, der Apparat.

Ohne engagierte Medienleute wüsste die Öffentlichkeit nicht, wie unter dem Siegel der Verschwiegenheit über Jahre und Jahrzehnte hinweg Dinge festgezurrt wurden, die mit unserer Verfassung unvereinbar sind. Noch immer wäre die Bevölkerung nicht annähernd so informiert über das Wüten von NSU-Terroristen unter Aufsicht von Sicherheitsbehörden. Die Kumpanei von deutschen Geheimdiensten beim größten globalen Überwachungsskandal aller Zeiten, wäre wohl nicht einmal bist hinter die abhörsichere Tür des zuständigen parlamentarischen Kon- trollgremiums gekommen. Es gebe weder in einem Land noch im Bund Untersuchungsausschüsse, die als Korrektiv zu politischen Sonntagsreden so bitter nötig sind.

Lange mussten sie Kritik erdulden, wurden beim Lügen und Betrügen erwischt. Man forderte die Auflösung der Nachrichtendienste. Auch Spott tut weh. Die Geheimen waren gezwungen, Akten offenzulegen, Mitarbeiter bis hin zu den Chefs mussten sich als Zeugen befragen lassen. Ein Linker, den man gerade noch voller Verblendung bespitzelt hatte, wurde plötzlich Regierungschef in Thüringen und legte dem dortigen Geheimdienstableger mit rot-rot-grüner Parlamentsmehrheit Zügel an.

Mehrfach hat gerade der Verfassungsschutz behauptet, aus Fehlern gelernt zu haben. Stimmt. Die Geheimdienstler lernten, sich noch mehr Rechte und technische Möglichkeiten zu organisieren. Zwar sollte das unterschwellige Gefühl der Wut nicht unterschätzt werden, doch wesentlich bei der Landesverratsattacke ist das Moment der Abschreckung. Es richtet sich nicht in erster Linie gegen Journalisten. Die Angriffe, die das für Geheimdienstkoordination zuständige Kanzleramt in den vergangenen Monaten bereits mehrfach gegen Abgeordnete insbesondere des NSA-BND-Untersuchungsausschusses gerichtet hat, weil aus deren Büros angeblich Informationen abfließen, belegen das Ziel einer Disziplinierung nach Innen. Bei uns gibt es keine Snowdens, lautet die unverhohlene Drohung.

Wer annimmt, dass der Landesverratsangriff von Range und Maaßen allein ausbaldowert wurde, ist naiv. Doch bei den beiden endet vorerst die Spurensuche nach Hintermännern. Maaßens Dienstherr, Bundesinnenminister Thomas de Maizère (CDU), ist nicht im politischen Tagesgeschäft und auch die Kanzlerin hat Urlaub. Die für den gestrigen Freitag geplante Bundespressekonferenz wurde (womöglich ob allzu vieler Fragen?) abgesagt.

Heiko Maas, der von der SPD gestellte Bundesjustizminister, wurde allerdings in dieser Woche noch in Berlin gesehen. Das ist praktisch, denn als Chef des Generalbundesanwaltes müsste er die dringend notwendige Entlassungsurkunde für Range unterschreiben. Egal, wie ungeschickt der jetzt zurückzurudern versucht.

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