Lassen sich Gefühle kontrollieren?
Leif Randt: Der Roman »Planet Magnon« führt in eine vage Zukunft und ist doch ein Kommentar zur Gegenwart
Schnell wird der Leser in den Roman hineingezogen. So kumpelhaft wie Leif Randt die Fahrt zu einem Sommercamp der Dolphin-Akademie beschreibt, hat man zunächst das Gefühl, sich in einem Jugendroman zu befinden. Wie heutige Schüler interessieren sich die »Juniordolphins« für Mädchen, für Kleidung und spielen mit den Erwartungen ihrer Lehrer. Dann aber werden Planeten mit Namen wie »Blossom«, »Cromit« und »Snoop« erwähnt. Und man erfährt, dass fast alle Menschen auf diesen Planeten in Kollektiven leben. Kollektive, die mit ihrer unterschiedlichen Lebenseinstellung und Philosophie untereinander konkurrieren. Die zentrale Instanz, die alles kontrolliert und die in Vorzeiten das Chaos und die ständige Angst vor Überfällen beendet hat, heißt »Actual Sanity«, was mit »richtiger« oder »wirklicher Gesundheit« übersetzt werden könnte.
Marten Eliot beschreibt »Actual Sanity« nicht genauer. Auch sonst bleibt in »Planet Magnon« vieles im Vagen. Hier unterscheidet sich Leif Randts Roman von »Der Circle«, dem vieldiskutierten Buch von Dave Eggers. Im Zukunftsroman des Amerikaners wird schnell klar, dass es sich bei dem beschriebenen Unternehmen um Google oder Facebook handelt. Doch genau deshalb dürfte er bald vergessen sein, während »Planet Magnon« wegen seiner Offenheit, die unterschiedliche Deutungen zulässt, größere Chancen hat, die Zeit zu überstehen. Eine Offenheit, die Randt unter anderem dadurch erreicht, dass er die Geschichte weiter in die Zukunft verlegt und damit konkrete Anspielungen vermeidet.
Dabei ist »Planet Magnon« natürlich immer auch ein Kommentar zur Gegenwart. So steht im Zentrum der Lebensphilosophie der Dolphins die sogenannte Post-Pragmatic-Joy-Theorie. Als »Spitzenfellow« besteht Martin Eliots Aufgabe darin, zusammen mit seiner Kollegin Emma auf Vortragsreisen mit dieser Theorie für die Dolphins zu werben. Eine Theorie, die dazu verhelfen soll, mit Trieben und Gefühlen »vernünftig« umgehen zu können. Dazu gehört, dass Alkohol und Drogen toleriert werden, aber nur in kontrolliertem Umfang. Psychoaktive Getränke werden konsumiert, weil sie die Intensität von erwünschten Empfindungen steigern. In einer Clearing-Abteilung kann man sich danach von den Giftstoffen reinigen lassen. Es ist ein bewusstes Leben, das die Dolphins predigen, bei dem jede Handlung, jedes Gefühl wahrgenommen und im Kollektiv diskutiert werden.
Doch lassen sich alle Gefühle diskutieren und kontrollieren? Die Dolphins haben zwar sexuelle Beziehungen, aber sie verlieben sich nicht. Liebesbeziehungen sind erst im Alter erwünscht. Marten Eliot wird an einer Stelle schwach, und sucht Kirsten auf, von der er sich gemäß Dolphin-Codex nach einer Weile getrennt hatte. Sie ist überrascht über seinen Besuch und sagt: »Ich dachte, du wärest ein echter Dolphin. Man schläft mit ihm, und er bleibt doch unnahbar.« Und dann tauchen auch noch die Hanks auf, das Kollektiv »der gebrochenen Herzen«. Es gibt Anschläge auf die Einrichtungen der Dolphins. Und Marten Eliot und seine Kollegin Emma werden nach Toadstool geschickt. Sie sollen das charismatische Mädchen mit der Tigermaske finden, das sich zusammen mit anderen Hanks auf den Müllplaneten zurückgezogen hat, und sie von ihrem falschen Weg abbringen.
Leif Randt ist mit »Planet Magnon« ein spannender Science-Fiction-Roman gelungen. Mit einer intelligenten Mischung aus Fremdheit und Vertrautheit versteht er es, die Phantasie und das Denken des Lesers immer von Neuem anzuregen. Ein Denken über die Gegenwart, bei dem er vorhandene Tendenzen nur in die Zukunft verlängert hat.
Leif Randt: Planet Magnon. Kiepenheuer & Witsch. 304 S., geb., 19,99 €.
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