In Leidenschaft ertränkt
Im Kino: «Maidan» von Sergej Losnitza
Maidan« ist ein wichtiger Film. Er ist eine bildgewaltige Mahnung, sich von der Gewalt eben jener Bilder nicht noch einmal betäuben zu lassen. Er wird ständige Warnung sein, vor der auf dem Maidan in Kiew so furchtbar erfolgreichen Kombination aus Freibier, Popkonzert und hohler Phrasendrescherei.
Könnte man Filme - Dokumentationen gar - von der Realität isolieren, dann wäre der international hymnisch gefeierte »Maidan« des ukrainischen Regisseurs Sergej Losnitza ein Werk, das man für seine formale Radikalität hoch schätzen könnte: Ausgedehnte Szenen, die von einer statischen Kamera eingefangen wurden, reihen sich über zwei Stunden unkommentiert aneinander, ein dokumentarischer Sog entsteht. Aber: Die Auswahl und Montage der Bilder ist alles andere als überparteilich, obwohl genau das durch die Ästhetik vorgegaukelt werden soll. Stattdessen wurde die Szene offensichtlich gesäubert: In »Maidan« taucht etwa der rechte Sektor überhaupt nicht auf.
Los geht es - natürlich - mit der Nationalhymne, die von hunderten Patrioten angestimmt wird. Man muss diese staatstragende Melodie in »Maidan« dutzende Male ertragen: instrumental, untermalt von bombastischen Chören oder nur mit der Wanderklampfe begleitet. In der Mitte des Films wird die Eingangsszene - inklusive der Nationalhymne in nochmals voller Länge - komplett wiederholt. Mehr Nationalismus, auch von Seiten der Regie, geht kaum.
Petro Poroschenko, einer der reichsten Männer des Landes, wurde Präsident. Der von Victoria Nuland Wochen vor der Wahl zum Kandidat bestimmte Arsenij Jazenjuk wurde Ministerpräsident. Zwei Namen, die jede revolutionäre Floskel verhöhnen. Und so ist »Maidan« ein Film wie aus einer anderen Welt. Die Realität könnte in keinem größeren Widerspruch zu den einst salbungsvollen Worten jener neoliberalen Putschisten stehen.
Neben einer permanenten, zermürbenden Pop- und Propaganda-Beschallung wehen aus dem Off immer wieder Sprachfetzen der Redner auf die Tonspur. Es klingt, als sei hier wochenlang das gleiche Skript verlesen worden: »Ukraine über alles«, »wir beten gegen das satanische Regime«, »Würde«, »Ehre«, »Ruhm«, »Freiheit« sind die eisern wiederholten Stichworte. Keine Zuspitzung ist zu billig: Priester beten, »der Himmel möge die Hölle niederringen« oder sie hören in den Protesten »den Schrei eines neugeborenen Kindes«. Konsequent wird in sämtlichen im Film zu hörenden Reden jeder echte Inhalt vermieden - auch und vor allem zum für die ukrainische Bevölkerung so giftigen EU-Abkommen. Viktor Janukowitschs gewählte Regierung ist stets »die kriminelle Horde« oder auch nur »die Gang« - konkreter werden seine Verbrechen nie beschrieben.
Unterm Strich bleibt als einziger Inhalt der Maidan-Reden: die große ukrainische Nation. Wenn es dessen noch bedurft hätte, liefert die Dokumentation den Beweis, dass der Maidan eine ultranationalistische Bewegung war - strukturell, großflächig und auch jenseits der beteiligten faschistischen Verbände: Auch die meisten der anfänglich noch zahlreichen nicht-militarisierten und zivilgesellschaftlich engagierten Demonstranten badeten in einem kollektiven »Ukraine-Rausch«. So sei »Maidan« dringend den linksliberalen Unterstützern jenes blutigen Umsturzes empfohlen: Es findet sich in den Reden und Handlungen der Protestierenden nicht ein einziges fortschrittliches Element. Vielmehr springen einem, und dies nicht erst mit dem heutigen Wissen, die Verlogenheit der revolutionären Phrasen und das Gefahrenpotenzial des militanten Unterfangens geradezu ins Auge
Wer wann wo gerade spricht oder Molotowcocktails wirft, erfährt der Zuschauer des grob chronologisch geordneten Filmessays nicht. Bis auf spärliche Texteinblendungen wird jede Information verweigert. So steigert der Film die allgemeine Unklarheit den Maidan betreffend, die hierzulande schon durch die verklärende Berichterstattung vieler Medien angerichtet wurde. Was also ist die Aussagekraft dieser stimmungsvollen, aber höchst subjektiven Collage? Zu Aufklärung und Analyse trägt »Maidan« jedenfalls nichts bei.
Auch der anfängliche, durch normale Bürger dominierte Protest erscheint in diesen Bildern merkwürdig professionalisiert. Und schon sehr früh tauchen jene später dominanten, strengen und maskierten Ordner auf, die wie Feldwebel die Protestierenden herumkommandieren. Bemerkenswert ist auch, wie unbehelligt die Aktivisten wochenlang mitten in der Stadt ihre Pop- und Putsch-Infrastruktur aufbauen konnten: Von der Mega-Videoleinwand über diverse Bühnen und Lasershows bis zu Waffenlagern und befestigten Barrikaden oder den tausenden Autoreifen, die als Brennstoff die Nächte vor blockierten Volksvertretungen in Infernos verwandelten.
Immer wieder erklingt in den (anonymen) Reden die falsche Rhetorik von der »Diktatur«. Janukowitsch war sehr kritikwürdig - aber man hätte ihn abwählen können: Die offizielle Präsidentschaftswahl hätte im Januar 2015 stattgefunden. Die Maidan-Kämpfer hätten sich hier mit ihrem Programm zur Wahl stellen können - und müssen! Stattdessen wählten sie den gewaltsamen Putsch und wurden darin von westlichen Medien und Politikern unterstützt. Das der undemokratische Umsturz automatisch einen schweren Konflikt mit dem Osten des Landes provozieren würde, war offensichtlich und wurde von zahlreichen Beobachtern schon sehr früh angemahnt - vergeblich: Gegen die emotionalen Breitseiten der Politiker, Poeten, Popsternchen und Pfaffen, die sich täglich (und auch im Film) über den Platz in Kiew ergossen, hatten kühle Analysen keine Chance.
Der Film »Maidan« versucht diese emotionale und faktenferne Betrachtungsweise fortzusetzen, indem er eine diffuse Unübersichtlichkeit weiter schürt, die eine distanzierte Untersuchung unmöglich macht. Der Regisseur handelt da im Sinne der Kiewer Regierung, die nicht möchte, dass sich der nationalistisch-emotionale Nebel des Maidan endlich lichtet, und die sich etwa stur weigert, die Mörder der Maidan-Toten aufzuspüren. Die Putschisten setzten von Anfang an auf die Entfesselung einer nationalen Leidenschaft, in der jede Vernunft und jedes gesellschaftliche Frühwarnsystem ersaufen musste.
Man sieht die zunächst sympathischen Bürger. Doch selbst in diesem sehr maidan-freundlichen Film spürt man die Instrumentalisierung jenes Protestes - der verführt wurde durch falsche Versprechungen der EU, ermutigt durch perfektes Aufstandsmanagement, angeführt von Ex-Soldaten und militanten Neonazis und berauscht vom Gemeinschaftsgefühl und der Dramatik der Tat.
»Viktor Janukowitsch verkauft unser Land!«, ruft ein nicht identifizierter Redner. In einer anderen Szene tätschelt der heutige Ministerpräsident Jazenjuk die Kinder eines Weihnachtschores und schwadroniert vom betrogenen ukrainischen Volk. Mittlerweile hat er seine »Revolution« gewonnen - und verkauft nun (von hiesigen Medien völlig unbehelligt) seinerseits das Land: Im Schatten des von Kiew begonnen Bürgerkriegs verscherbelt Jazenjuks neoliberale Regierung Staatsbetriebe an ausländische Konzerne und kürzt radikal die Löhne und Renten. So lange er damit nicht fertig ist, werden wohl auch die Waffen nicht schweigen.
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