Essen gegen den Geistesschwund

Richtige Ernährung senkt Risiko für neurologische Alterserkrankungen um 24 Prozent

  • Henriette Palm
  • Lesedauer: 4 Min.
Zwei große Untersuchungen kanadischer Neurologen mit 30 000 Teilnehmern aus 40 Ländern zeigen, dass gesunde Essgewohnheiten das Risiko von Demenzen im Alter verringern können.

Demenz ist ein internationaler Forschungsschwerpunkt, hat sich doch gezeigt, dass viele Menschen für die steigende Lebenserwartung einen hohen Preis zahlen. Die gesunden Jahre verringern sich gegenüber der Lebenszeit in nicht unwesentlichem Ausmaß durch Demenz.

Kann sich das durch gesundes Essen aufhalten lassen? Zwei Studien mit 27 860 Teilnehmern, die auf dem am Mittwoch in Düsseldorf eröffneten 88. Neurologenkongress vorgestellt wurden, scheinen die Frage zu bejahen. Die Studienteilnehmer waren mindestens 55 Jahre alt, litten bereits an Herzerkrankungen oder hatten ein hohes Diabetes-Risiko. Untersucht wurde bei ihnen die Wirkung blutdrucksenkender Medikamente. Gemessen wurde aber auch die geistige Leistung anhand des Mini-Mental-Status-Test. Der MMST ist ein Standardtest zur Diagnose von Demenz und Alzheimer.

Überprüft wurden weiter so zentrale kognitive Funktionen wie zeitliche und räumliche Orientierung, Merkfähigkeit, Aufmerksamkeit, Sprachverständnis, Lesen, Schreiben, Zeichnen und Rechnen. Der Test fand zu Beginn der Studie statt und wurde nach fünf Jahren wiederholt. In diesem Zeitraum beobachteten die Forscher etwa bei jedem sechsten Studienteilnehmer eine Verschlechterung der kognitiven Leistungen. Ein Forscherteam um Andrew Smyth von der kanadischen McMaster University fand heraus: Wer sich am gesündesten ernährte, hatte ein um 24 Prozent geringeres Risiko für geistigen Abbau im Vergleich zu dem, der sich besonders ungesund ernährte. Als »gesund« galt dabei der Verzehr von viel Obst und Gemüse, Nüssen, Eiweiß aus Soja oder Fisch im Gegensatz zum Konsum von viel frittiertem Essen, Fleisch, Eiern und Alkohol. »Dass gesunde Essgewohnheiten das Herz-Kreislauf-Risiko senken, ist bekannt; dass das auch für kognitive Störungen, insbesondere Aufmerksamkeits- und Kontrollfunktionen, aber auch Gedächtnisstörungen gilt und in so hohem Maße, ist bemerkenswert«, so Professor Agnes Flöel von der Berliner Charité.

Ob und wie weit die errechnete Risikoreduktion allein auf das gesunde Essen zurückgeht, lässt sich anhand der vorliegenden Ergebnisse nicht sagen. Grundsätzlich ist bekannt, dass auch Faktoren wie die Kalorienzufuhr kognitive Funktionen beeinflussen. Agnes Flöel hat die positiven Auswirkungen einer kalorischen Restriktion bereits vor einigen Jahren nachgewiesen. Im Anschluss an eine auf drei Monate begrenzte verringerte Kalorienzufuhr lernten ältere Versuchspersonen deutlich besser. Ihre Lernleistung stieg um 20 Prozent gegenüber der Vergleichsgruppe, die die Kalorienzufuhr nicht reduzierte. Flöel vermutet unter anderem einen besseren Glukose-Stoffwechsel und damit verbundene positive Wirkungen auf insulinabhängige Stoffwechselwege im Gehirn. Dabei sei der zeitweilige Reiz des Abnehmens entscheidend gewesen, nicht der dauerhafte Gewichtsverlust, wie neuere, noch unveröffentlichte Ergebnisse aus ihrer Arbeitsgruppe nahelegen. »Gerade bei älteren Leuten ist es problematisch, eine Gewichtsreduktion als Ziel vorzugeben, weil das auch die Sterbewahrscheinlichkeit erhöhen kann.«

Weltweit werde daher in weiteren Studien versucht, Substanzen zu identifizieren, die eine ähnliche Wirkung wie Kalorienrestriktion erzielen, den Stoffwechsel anregen, aber nicht zu einer Gewichtsabnahme führen. Das betrifft u.a. das Resveratrol, wie es in Weintrauben oder Nüssen vorkommt. »Wir werden auch ein Projekt zu Polyaminen starten, die Eigenschaften ähnlich einer Kalorienrestriktion haben sollen. Man findet sie in Weizenkeimlingen und Soja. Diese Substanz-Suche ist der Trend in der Forschung.« Vorgaben zur Ernährung, Verboten, Verordnungen und striktere Auflagen für die Lebensmittelindustrie steht Agnes Flöel eher skeptisch gegenüber. »Diese Art von Bevormundungen sind in Deutschland nicht gewünscht, wie u.a. die GRÜNEN erkennen mussten, als sie 2013 den Veggie Day auf ihre Fahnen schrieben. Die Politik kann höchstens Signale geben, aber umgesetzt werden muss eine gesunde Lebensweise auf der Mikroebene, also durch jeden einzelnen. Hier sieht ich allerdings ein sehr großes Potenzial zur Prävention.«

Ähnlich optimistisch äußert sich Anita Hökelmann von der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Sie gewann zusammen mit anderen Magdeburger Forschern erstmals in einer fachübergreifenden Studie von Sportwissenschaftlern und Neurowissenschaftlern neue Erkenntnisse zur Demenzprävention. Im September wurden sie bei einer internationalen Konferenz von 150 Sport- und Ernährungswissenschaftlern, Neurobiologen, Medizinern und Psychologen aus 20 Ländern vorgestellt. Anita Hökelmann ist überzeugt, dass sich Demenzerkrankungen aufschieben lassen, und zwar nicht nur durch chemische Substanzen und Pharmaka. »Das aktive Zusammenspiel von kognitiver Herausforderung, sportlicher Betätigung, gesunder Ernährung und psychologischem Wohlbefinden scheint altersbedingte Krankheiten zu verzögern und Gedächtnisleistungen zu stärken«. Besonders geeignet seien komplexe, emotional positiv besetzte Bewegungsabläufe wie beim Tanzen.

Fazit: Demenz ist multifaktoriell; es gibt viele Ursachen. Forschungsergebnisse lassen hoffen, dass man künftig den Krankheitsprozess wird aufhalten können. Die eine Pille wird es wohl nicht geben, vielleicht aber den Stoffwechsel zielgenau stimulierende Mittel und in jedem Fall die Möglichkeit den Einzelnen, durch gesundes Essen und Bewegung selbst seinen Teil dazu beizutragen.

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