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Akademische Fahnder

Frank-Rainer Schurich und Ingo Wirth über die Kriminalistik in der DDR

  • Ernst Reuß
  • Lesedauer: 3 Min.

Während das primäre Ziel der Kriminologie die abstrakte Erforschung der Ursachen von Kriminalität ist, beschäftigt sich die Kriminalistik mit der konkreten Verhütung, Aufklärung und Bekämpfung von Straftaten. Kriminalistik ist also die Lehre von den Mitteln und Methoden, wie kriminellen Taten durch präventive und repressive Maßnahmen vorgebeugt werden kann. Ein Studium dieser findet heute in der Regel an den polizeilichen Fachhochschulen statt. Das war einmal anders. In einem Land, das es nicht mehr gibt.


Frank-Rainer Schurich/ Ingo Wirth (Hg.): Die Kriminalistik an den Universitäten der DDR.
Verlag Dr. Köster. 460 S., geb., 29,80 €.


Im Zuge der akademischen Evaluierung nach der deutsch-deutschen Vereinigung entschied sich das Land Berlin Anfang der 1990er Jahre gegen die Weiterführung des vierjährigen Studienganges Kriminalistik an der Humboldt Universität zu Berlin und löste die dortigen Lehrstühle auf. Die Begründung im Senatsbeschluss lautete ebenso falsch wie fatal: »mangels Bedarfs«. Diese Entscheidung wurde nicht nur von ostdeutschen Dozenten und Studenten, sondern auch von westdeutschen Kriminalisten, Theoretikern wie Praktikern, bedauert. In der Bundesrepublik gab es Vergleichbares nicht. Und es gibt auch heute keinen einzigen Lehrstuhl für Kriminalistik an einer deutschen Universität. Diese Disziplin wird nur noch an einigen juristischen Fakultäten als Nebenfach angeboten. Namhafte Experten sprachen von einem »Rückschritt in der Wissenschaftsentwicklung«.

Der DDR-Studiengang Kriminalistik war interdisziplinär angelegt mit 40 Prozent juristischer und 60 Prozent naturwissenschaftlicher und technischer Ausbildung. Dazu gehörten Chemie, Fotografie, Ballistik, Handschriften- und Fingerabdruckkunde, Informatik und Wahrscheinlichkeitstheorie, ebenso Psychologie, Gerichtsmedizin und Psychiatrie. Spezialisieren konnten sich die Studenten auf Rauschgiftdelikte, Wirtschaftskriminalität, Diebstahl und Raub, Terrorismus, organisierte Kriminalität oder Umweltverbrechen.

Mit viel Herzblut haben nun die ehemaligen Institutsangehörigen der Berliner Kriminalistik Frank-Rainer Schurich und Ingo Wirth ein umfassendes, sehr detailliertes Kompendium der »Kriminalistik an den Universitäten der DDR« herausgegeben. Sie schrieben damit ein bereits 1994 erschienenes Buch fort.

Sie berichten über die Neueröffnung und Neugründung der Berliner Universität, die den Namen der Gebrüder Humboldt erhielt, und über erste Bemühungen zur Errichtung eines Instituts für Kriminalistik, das schließlich 1952 eingerichtet wurde. Arthur Kanger, der 1945 kurzzeitig von der Sowjetischen Militäradministration zum Kammergerichtspräsidenten ernannt worden war, war der erste Leiter des Instituts. Als Parteiloser mit bürgerlicher Herkunft hatte er es nicht leicht in dieser hoch politisierten Zeit; er gab nicht nur aus Altersgründen bereits 1955 sein Amt wieder ab. Seine Nachfolger bauten das Institut weiter aus.

Die Autoren beschreiben ausführlich die Abwicklung 1994, wobei auch auf einstige Vorwürfe der »Geheimforschung« eingegangen wird. Ein Blick auf die Kriminalistik in Jena, Halle-Wittenberg und Leipzig sowie auf die Kriminalistik in der Sowjetunion weitet den Blick. Schließlich runden eine Liste aller Veröffentlichungen und ein Verzeichnis aller Habilitationsschriften, Dissertationen und Diplomarbeiten zu kriminalistischen Themen an den Universitäten der DDR diese Leistungsschau ab.

Schurich/Wirth wollten zeigen, was der deutschen Wissenschaftslandschaft verloren gegangen ist. Sie hoffen, dass kommende Generationen sich des Mankos bewusst werden und auf einst erfolgreiche Strukturen zurückgreifen. Man wird sehen. Dieses Buch jedenfalls dürfte nicht nur Kriminalisten interessieren.

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