»Mein Kampf«: Kommentierte Ausgabe sorgt für Debatten
Historiker und jüdische Verbände beurteilen Neuedition unterschiedlich / Diskussion auch über mögliche Behandlung in der Schule
Berlin. Während das Institut für Zeitgeschichte in München am Freitag seine wissenschaftlich kommentierte Gesamtausgabe von Adolf Hitlers »Mein Kampf« präsentierte, geht die Debatte über das Werk mit mehr als 2.000 Seiten weiter. Die Neuauflage umfasst zwei Bände, in denen mehr als 3.500 Anmerkungen enthalten sind.
Der deutsch-israelische Historiker Moshe Zimmermann befürchtet keinen Missbrauch der kommentierten Neuausgabe von »Mein Kampf« durch Rechtsradikale. Der emeritierte Professor der Hebräischen Universität in Jerusalem hat bereits vor rund 20 Jahren an einer Übersetzung von Adolf Hitlers Hetzschrift auf Hebräisch mitgearbeitet. »Tatsache ist, dass die Rechtsradikalen in Deutschland kaum etwas mit dem Text anfangen können – weil er nicht aktuell ist, weil er langweilig ist. Das bedeutet, dass die Gefahr nicht besteht, die man in der Öffentlichkeit aus Ignoranz erwartet«, so der Historiker.
Sscharf kritisiert hat die neue Ausgabe dagegen der Londoner Germanist Jeremy Adler. Eine gewissenhafte Institution dürfe keine Hetzschriften verbreiten, sagte er am Freitag im Deutschlandfunk. Niemand könne kontrollieren, wie der rassistische Text aufgenommen wird, warnte der Professor für Deutsche Sprache am Londoner King's College. Es hätte ausgereicht, einzelne Textpassagen im Kontext eines kritischen Kommentars zu veröffentlichen.
Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, hält die Veröffentlichung der kritisch kommentierten Gesamtausgabe hingegen für sinnvoll. »Ich kann mir gut vorstellen, dass diese kritisch kommentierte Auflage einer Aufklärung dient, und dass sie einen gewissen Mythos, der um dieses Buch herrscht, aufzuklären vermag«, sagte er dem NDR Info. Außerdem könne sie deutlich machen, was das Buch für ein Machwerk sei und zeigen, mit welch völlig falschen und skurrilen Theorien und Thesen Hitler gearbeitet habe. Schuster meinte allerdings, er halte es für möglich, dass das Buch geeignet sei, in rechtsextremistischen Kreisen weiterhin dafür zu sorgen, solche Thesen zu verbreiten. Es sei daher wichtig, sich mit Hitlers Propaganda auseinanderzusetzen, gerade vor dem Hintergrund von Rechtspopulismus und Erscheinungen wie Pegida. »Einige Dinge, die wir auch heute wieder hören, finden wir auch in diesem Buch.«
Eine andere Auffassung vertrat der Jüdische Weltkongress WJC. Die Veröffentlichung sei »überflüssig«, sagte WJC-Präsident Ronald S. Lauder am Freitag in New York. Historiker und alle anderen, die Zugang zu dem Buch bräuchten, hätten ihn bereits. »Von diesem abscheulichen und giftigen Buch sind schon genug Exemplare gedruckt worden«, sagte Lauder weiter. »Es wäre also das beste, ›Mein Kampf‹ dort zu lassen, wo es hingehört: Im Giftschrank der Geschichte.«
Der Jenaer Didaktik-Professor Uwe Hoßfeld sprach sich derweil für die Verwendung der kommentierten Neuausgabe im Schulunterricht aus. »Das Buch ist ein Zeitdokument, dem wir uns stellen müssen«, sagte Hoßfeld der dpa. Daher sei es notwendig, mit Auszügen daraus im Geschichts-, Ethik- aber auch im Biologieunterricht zu arbeiten – etwa um den Missbrauch der Genetik zu NS-Zeiten aufzuzeigen. Hoßfeld hat an der Kommentierung mitgearbeitet und dabei Themen wie Rassentheorie, Eugenik und Humangenetik bearbeitet.
Die Thüringer Bildungsministerin Birgit Klaubert (Linke) hatte zu Wochenbeginn auf eine einheitliche Haltung der Länder in der Frage der Verwendung in Schulen gedrängt. Dem MDR sagte sie, ihr persönlicher, humanistischer Anspruch und der Respekt vor den Millionen Opfern der Nazidiktatur sagten allerdings »Nein« zu einer Verwendung. Widerspruch kam dagegen von Kulturminister Benjamin-Immanuel Hoff (Linkspartei), der in der Neuausgabe eine Ergänzung für den Unterricht sieht. Dabei gehe es aber nicht darum, das Buch in Gänze zu behandeln, schrieb er auf freitag.de. Ob und wie die Schulen die Neuausgabe im Unterricht nutzen, sollte ihnen überlassen werden.
Die kommentierte Neuausgabe soll ab Freitag in den Buchhandlungen verfügbar sein. Auch eine digitale Ausgabe der Edition ist geplant. Dem Institut für Zeitgeschichte zufolge ist Hitlers Hetzschrift in einem großangelegten Forschungsprojekt »umfassend aufbereitet« worden. Die kritische Edition ordne die historischen Fakten ein und erkläre den Entstehungskontext. »Mein Kampf« von Adolf Hitler wurde bis 1945 mehr als zwölf Millionen Mal gedruckt. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs hatte der Freistaat Bayern die Rechte an dem Buch inne und konnte so Nachdrucke untersagen. Ende 2015 – also 70 Jahre nach Hitlers Todesjahr – sind die Urheberrechte nun erloschen. Agenturen/nd
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