Dabei gingen sie doch Hand in Hand

Eine Ausstellung im Potsdam Museum widmet sich der ost- und westdeutschen Kunst der 1980er Jahre

Wer sich als Künstler in den 1980er Jahren in Ost- und Westdeutschland mit der Welt, die ihn umgab, auseinandersetzte, hatte es mit schwer Fassbarem zu tun. Schöpferisch war zwischen Reagan, Gorbatschow, NATO-Doppelbeschluss, Glasnost, Hausbesetzungen und Aerobicstulpen alles möglich. Musikalisch haben wir diesem Jahrzehnt, abseits der bekannten Scheußlichkeiten, Bands wie »Brausepöter«, »Einstürzende Neubauten« und »Schleim-Keim« zu verdanken. Damals traf man sich in Westberlin in Etablissements mit Namen wie Dschungel, Exil, Slumberland oder dem berühmten SO36. Das Knistern der Zeit bot unendlich viel Substanz für bildende KünsterInnen in beiden deutschen Staaten. Die »neuen Wilden« widmeten sich, egal, ob Ost, ob West, wohl auch deshalb neoexpressiven, surrealen und figurativen Stilen, denn die Innenwelt jedes Einzelnen war mächtig ins Wanken geraten. »Diese ganzen Entwicklungen konnte ich nicht mehr mit Landschaftsbildern kommentieren«, sagt der Potsdamer Maler Bernd Krenkel über die 80er Jahre.

Dass sich die Sujets, die Künstler᠆Innen der 80er Jahre in beiden deutschen Staaten wählten, sich so ähnlich sind, war bisher nie Gegenstand einer Ausstellung. Man hatte es vermieden, Ost- und Westkunst zusammen zu präsentieren und erst recht, sie zusammen zu denken. »Sie (die Ostkunst) ist in den alten Bundesländern selbst da nicht präsent, wo, wie zum Beispiel im Kölner Vertragsmuseum des Sammlers Peter Ludwig, die Depots mit Meisterwerken gefüllt sind. Absichtsvoll werden sie dem Publikum vorenthalten«, schreibt der Kunstkritiker Eduard Beaucamp in einem Essay für den Ausstellungskatalog. Ganz zu schweigen vom Weimarer Bilderstreit aus dem Jahr 1999, als Nazikunst und Werke aus der DDR in der Ausstellung »Aufstieg und Fall der Moderne« Wand an Wand hingen.

Was bisher, 27 Jahre nach dem Fall der Mauer, stets getrennt oder in einem skurrilen Kontext gemeinsam existierte, bringt die Ausstellung »Die wilden 80er in der deutsch-deutschen Malerei« nun zusammen. Die Schau ist im Potsdam Museum zu sehen und wurde von Museumsleiterin Jutta Götzmann und der wissenschaftlichen Mitarbeiterin Anne Havemann kuratiert. Die Ausstellung entstand, als die Kölner Sammlung Vera Schreck mehrere Werke Bernhard Heisigs dem Museum als Dauerleihgabe überließ, darunter »Der Fensteröffner«, das subtil auf den Mauerfall Bezug nimmt und als Ausgangspunkt der Schau arrangiert ist. Später im Rundgang durch das Haus hängt dann ein Markus Lüpertz aus dem Rheinland neben dem fast völlig unbekannten Stephan Velten aus Potsdam, das ergibt sich eben, wenn Kuratoren nicht in Dichotomien denken.

Ganz anders als die »Gegenstimmen« im Martin-Gropius-Bau wird die Relevanz von DDR-Kunst in der Potsdamer Schau nicht auf einer Regimeskala von dagegen bis sehr dagegen gemessen, sondern die Werke so präsentiert, dass erkennbar wird, wie ähnlich sich Themen und KünstlerInnen diesseits und jenseits der Mauer waren. Obwohl vor allem Westkünstler von den Arbeiten ihrer Ostkollegen kaum Notiz nahmen. Die KünstlerInnen aus dem Osten hingegen konnten den Einfluss des Staates, der ihn, wie Walter Libuda sagt, »bedrängt, betroffen und bedrückt hat«, aus ihren Arbeiten selten verbannen. Im Westen bekamen die Werke deshalb fälschlicherweise den Stempel »Staatskunst« aufgedrückt. Selbst nachdem einige Vertreter der Dresdner Schule in den Westen emigrierten, fanden sie dort nur schwer Anschluss, schreibt Kunsthistoriker Eckhart Gillen in einem weiteren Essay des Katalogs. »In den 80er Jahren war mein persönlicher Bezug zur Kunstszene der DDR sehr begrenzt. Gelegentlich kam ich in Kontakt mit DDR-Künstlern, die bereits frei reisen durften. Aber wie die DDR-Kunstszene außerhalb der staatlichen Existenz aussah, war mir nicht bekannt«, sagt der Westberliner Künstler Helmut Middendorf.

In sechs thematisch gegliederten Räumen zeigt sich in verschiedenen Kategorien von figurativ/erzählerisch bis figurativ/kämpferisch, wie die knapp 90 Werke der 49 KünstlerInnen miteinander korrespondieren. Auf eine chronologische Darstellung der Werke haben die Kuratorinnen verzichtet. Wichtiges Thema ist die Musik, das Verlorengehen in erstickend dichter Luft. Helmut Middendorfs »The Stage« und Johannes Heisigs »Live im Keller« bilden beide ein Konzert ab. Interessant, dass der Westdeutsche Middendorf den Blick von der Bühne in den unter Scheinwerfern überblendeten Zuschauerraum wirft, als sei er selbst einer der Musiker, aktiv beteiligt am Trubel, während der Leipziger Heisig das Konzert aus der Passivität eines Besuchers betrachtet. Klischees von Ost und West. Mit Verallgemeinerungen aber begibt man sich auf Glatteis. Die Beschreibungen zu einzelnen Werken sind minimalistisch, kein Hinweis zur Herkunft der KünstlerInnen. Nicht immer ist jeder Name geläufig. Schnell findet man sich in den eigenen Stereotypen vom grauen Osten und knallbunten Westen wieder.

In der Ausstellung bekommen vor allem Künstlerinnen aus Ost- und Westdeutschland viel Platz. Meist sind ihre Bilder eine Auseinandersetzung mit der eigenen Körperlichkeit und dem Wunsch, wahrgenommen zu werden als Künstlerin, als Frau. Nach der Lektüre des Kataloges, vor allem des Essays von Kuratorin Havemann, fragt man sich, warum junge Frauen heute so wenig über Feminismus in der DDR wissen? Weil es so was nicht gab? Immerhin war die Gleichberechtigung verfassungsrechtlich festgeschrieben und die fast 100-prozentige Beschäftigungsquote von Frauen ein Beleg für die vermeintliche Überflüssigkeit einer solchen Debatte. Havemann zeigt, dass es sehr wohl ein Nachdenken über Geschlechtergerechtigkeit und Gender in der DDR, auch in der Kunst gab - in- und außerhalb der Literatur - und ein progressiver Anspruch kein Zeitvertreib gelangweilter westdeutscher Hausfrauen war, wie manch hart schuftende Frau in der DDR gerne ätzte.

Doris Ziegler, 1949 in Weimar geboren, setzt sich in ihrem 1988 entstandenen Werk »Ich und Du« plakativ aber wirkmächtig mit der Genderfrage auseinander. Das Bild zeigt sie selbst, der Stil hyperrealistisch, einmal mit weiblichen und einmal mit männlichen Genitalien, wobei die Figuren, Hand in Hand, sonst kaum voneinander zu unterscheiden sind. Auch die Dresdnerin Angela Hampel, stellt ihre Körper als bunte, androgyne Mischwesen dar.

In Potsdam ist eine Ausstellung entstanden, die es schafft, ostdeutsche und westdeutsche Kunst gleichwertig nebeneinanderzustellen. Die aber vor allem (auch dank des begleitenden Katalogs) fragt, was aus der künstlerischen Freiheit im Westen gemacht wurde und warum es bis heute nicht gelungen ist, Ostkunst abseits staatlicher Auftragsarbeit als wertvoll, subversiv und provokant wahrzunehmen.

Bis 12. März, Potsdam Museum, Am Alten Markt 9, Potsdam

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