Ein Komponist mit vielen Feinden

Vor 450 Jahren wurde Monteverdi geboren. Eine Buch beleuchtet die musikalische Epochenwende, deren Motor er war

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 4 Min.

Eine Unzahl Chöre und Instrumentalgruppen singen und spielen heute Monteverdi, basierend auf einer breiten, scheinbar unversiegbaren Aufführungstradition. Zuallererst in Italien, Monteverdi gilt hier geradezu als nationales Heiligtum. Die Niederlande (mit den alten Meistern Josquin, Obrecht, Gombert im Rücken) und Deutschland (Hans Leo Haßler sei genannt, wie Monteverdi Schöpfer vieler Madrigale) stehen nicht weit zurück. Auch Frankreichs Chorleben weiß sich gegenüber dem Italiener immer mehr verpflichtet. Und im britischen Musikbetrieb ist der Komponist wie die nationalen Größen Dowland, Byrd und Britten fester Bestandteil der Chor- und Opernpraxis.

Eine beliebige Monteverdi-CD mit geistlicher Musik aufgelegt, klingen in schönsten, vielstimmigen Satzgebilden die Frauenstimmen hell und klar. Das war in San Marco zu Venedig (wie in übrigen Kathedralen) noch im 17. Jahrhundert schier ausgeschlossen. Monteverdi, dortselbst drei Jahrzehnte lang Kapellmeister, musste Kastraten bitten. Die Frauen hatten im Kirchenraum zu schweigen. Als der unterdes hoch anerkannte Komponist in San Marco seinen Dienst antrat, vergrößerte er erst mal die Anzahl der Kastraten von drei auf sechs. Monteverdi liebte besonders die Diskantstimmen. Sie ziehen sich durch alle acht Madrigalbücher hindurch, durch seine Theatermusiken und Opern, durch das gesamte Werk.

Selbst in Instrumentalmusik singen bisweilen die Streicher, als käme der Gesang aus weiblichen Mündern. Bass- und Sopranstimme stehen einander gegenüber wie Himmel und Erde. Den Bass hat Monteverdi erst richtig ins Laufen gebracht, raus aus dem Raster der Continuo-Begleitung und stoisch wiederkehrenden Passacaglia hinein in die selbstständige Arbeit im homophonen wie polyphonen Satz. Obwohl musikgeschichtliche Kräfte darauf hinarbeiteten, hat der große Italiener die Polyphonie nie ganz abgelegt, und wenn, dann hatte das dramaturgische Gründe. Polyphonie war für ihn hohes Traditionsgut.

Der Kathedralmusik von San Marco - ihr Zustand sei fürchterlich gewesen - habe er ihren alten Glanz zurückgegeben, schreibt Silke Leopold in ihrem Buch. Autorin auch des viel besprochenen Bandes »Claudio Monteverdi und seine Zeit« (Laaber-Verlag, 1982) und zahlreicher Aufsätze über Alte Musik. Ihr jüngstes Buch ist keine Biografie im herkömmlichen Sinne, wiewohl es eine Vielzahl biografischer Details anführt und bewertet. Worauf es der in Musikwissenschaftskreisen hoch geachteten Autorin ankommt: das Leben des Meisters zu zeichnen vor dem, was hinter und neben ihm geschieht. Die Gesamtlage ist ihr wichtig, in der Monteverdi »zum Motor der musikalischen Epochenwende um 1600« avancierte und die Oper zeitgleich mit Giulio Caccini und Jacopo Peri nicht nur erfand, sondern ihr die kräftigsten Entwicklungsimpulse verlieh (»Arianna«, »Orfeo«, »Die Heimkehr des Odysseus«, »Die Krönung der Poppea«).

Cremona, Mantua und Venedig sind die geografischen Koordinaten ihrer Wegbeschreibung. Monteverdi ist über deren Grenzen kaum hinausgekommen. Trotz engen regionalen Wirkens habe sich der Komponist sein Leben lang von Feinden umzingelt gesehen. Einmal sei er aus lapidarem Grund des Hochverrats bezichtigt worden. Silke Leopold führt das nicht näher aus. Klar wir aber: Heilig waren ihm die weltlichen und geistlichen Autoritäten nicht.

Claudio Giovanni Antonio Monteverdi, getauft zu Cremona am 15. Mai 1567, gestorben in Venedig am 29. November 1643, stand mit beiden Füßen und Federkiel in einer neuen Zeit. Er gehört zu den vielen, die sich befreit wähnten von den mittelalterlichen Fesseln, der klerikalen Dumpfheit. Zugleich stand er auf Du und Du mit der bestehenden aristokratischen und Kirchenwelt, von der er lebte und für die er komponierte.

In das Geburtsjahr fällt die Gründung Rio de Janeiros. Fünf Jahre danach brach der Niederländische Befreiungskampf gegen die spanischen Peiniger los. In Frankreich tobten die blutigen Hugenottenkriege. In seinem Todesjahr wurden in London 40 000 Arbeitslose gezählt. Deutschland erlebte die größten Zerstörungen während des Dreißigjährigen Krieges, in England nahm die erste bürgerliche Revolution der europäischen Geschichte ihren Anfang. Das wissenschaftliche Zeitalter rührte an den Schlaf der Welt, voran gingen Kopernikus und Galilei.

Monteverdi stand dem allem nicht fern. Er trug mit seiner Musik dem progressiven Geist der Epoche erhebliche Potenzen zu.

Silke Leopold: Claudio Monteverdi. Biografie. Carus Verlag, 256 S., 28 €.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.