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Der Springpunkt
Rolf Hecker und Ingo Stützle offerieren Marxens «Kapital» im handlichen Taschenbuchformat
Es ist Rolf Hecker und Ingo Stützle zu danken, Marxens «Kapital» nun auch in einer Pocket-Reihe in fünf Bänden ediert zu haben. Sie sei hier Anlass für eine notwendige Debatte.
In seinen drei Bänden des «Kapitals» hat Karl Marx den kapitalistischen Gesamtprozess der Reproduktion dargestellt. Er war sich der Schwierigkeiten des Anfangs durchaus bewusst: «Aller Anfang ist schwer, gilt in jeder Wissenschaft. Das Verständnis des ersten Kapitels … der die Analyse der Ware enthält, wird daher die meiste Schwierigkeit machen.» Im ersten Kapitel haben wir es mit der Wertform und bei Darstellung von Ware und Geld mit dem Ausgangs- bzw. Anfangspunkt des kapitalistischen Reproduktionsprozesses zu tun - und nicht mit einer historischen Einleitung ins «Kapital», wie gemeinhin angenommen wird. Marx selbst hat dies explizit ausgeführt: «Für die bürgerliche Gesellschaft ist aber die Warenform des Arbeitsprodukts oder die Wertform der Ware die ökonomische Zellenform.»
Marx hat den «Doppelcharakter der Arbeit» als den «Springpunkt» bezeichnet, um den sich «das Verständnis der politischen Ökonomie dreht». Woraus besteht der Doppelcharakter der Arbeit und in welchem Zusammenhang steht er zum Wert? Wert ist etwas, was Menschen weder sehen, anfassen, riechen oder schmecken können. Der Wert erscheint auch nicht als solcher, sondern nur in seiner Erscheinungsform, dem Tauschwert. Der Wert entsteht aus einer Beziehung von zwei unterschiedlichen Gebrauchswerten, die als Arbeitsprodukte als gleich und vergleichbar aufeinander bezogen werden. Damit dies möglich ist, müssen die Arbeiten neben ihrer Eigenschaft, Natur umzuformen und unterschiedliche Gebrauchswerte zu erzeugen, auch die banale Eigenschaft haben, menschliche Arbeiten zu sein. Diese Eigenschaft, allgemeine (abstrakt) menschliche Arbeit zu sein, haben die Arbeiten der Menschen in allen Gesellschaftsverbänden, in denen sie zusammenleben.
In den Gesellschaften, in denen die Arbeitsprodukte als Waren ausgetauscht werden, erhalten sie eine Wertform. Als Arbeitsprodukte sind sie von menschlicher Arbeit und daher von gleicher Qualität und vergleichbar. «Ihre gesellschaftliche Form ist ihre Beziehung aufeinander als gleiche Arbeit.» Und, wie es an derer Stelle heißt: «Die Wertform der Ware ist daher ihre gesellschaftliche Form.» Die Ware muss deshalb ihre Form verdoppeln, sie hat nicht nur Naturalform, sondern auch Wertform. Diese «Wertform erwirbt sie erst im Umgang mit anderen Waren. Aber ihre Wertform muss selbst wieder gegenständliche Form sein. Die einzigen gegenständlichen Formen der Waren sind ihre Gebrauchsgestalten, ihre Naturalformen.»
Arbeitsprodukte sind als abstrakt menschliche Arbeiten in allen Gesellschaften gleich und vergleichbar, aber indem sie in ein Austauschverhältnis gebracht werden, erhalten sie eine Wertform und werden damit zu Trägern menschlicher Beziehungen in sachlich-gegenständlicher Form. Die Wertform charakterisiert sie damit als eine historisch temporäre und vorübergehende gesellschaftliche Beziehung von menschlichen Arbeitsprodukten. Der Wert ist eine (sachlich-gegenständliche) gesellschaftliche Beziehung von Arbeitsprodukten. «Ihr Wertsein bildet dagegen ihre Einheit. Diese Einheit entspringt nicht aus der Natur, sondern aus der Gesellschaft.» Der Wert ist ihr «identisches Element». Daher ist «die ›value‹ nichts Absolutes», kann «nicht als an entity», Wesenheit, aufgefasst« werden. Mit der Konsequenz: »Diese bestimmte Form der gesellschaftlichen Arbeit unterscheidet die Warenproduktion von anderen Produktionsweisen.«
Der komplexe kapitalistische Reproduktionsprozess ist in seinen sachlichen Wertformen kein bewusst bestimmter und regulierter Prozess, sondern ein für die Menschen naturwüchsiger und äußerlicher Zusammenhang. Marx hat den deus ex machina entschlüsselt: Es sind der Wert und die Wertformen, die in einem blindwirkenden Zusammenhang ein komplexes Ganzes (eine Totalität) erzeugen. Der Wert ist das »automatische Subjekt« des ganzen Prozesses, er bestimmt die Funktionsweise und den Ablauf der Produktion und der Zirkulation. »Das Verhältnis des der Produktion vorausgesetzten zu dem aus ihr resultierenden Werts … bildet das Übergreifende und Bestimmende des ganzen kapitalistischen Produktionsprozesses.«
Mehrwertproduktion ist sein Inhalt und sein Ziel, die quantitative Vermehrung des gesellschaftlichen Reichtums in abstrakten Wertformen ist der hauptsächliche Sinn und Zweck dieser Produktionsform. Marx hat festgestellt, dass der kapitalistische Reproduktionsprozess als Organisationssystem ein blind-wirkender, naturwüchsiger, modular aufgebauter Zusammenhang ist. Ein in seinen Grundlagen naturwüchsiges System der Selbstorganisation bzw. eine naturwüchsige und partiell unbewusste Netzwerktechnik. Seine unbewusste, naturwüchsige und unregulierte Seite ist es aber auch, die das System unregelmäßig, aber beständig mit der Kollision bedroht.
Das unbewusst und naturwüchsig entstandene System enthält eine Verkehrung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Nicht die konkret nützlichen Gebrauchswerte sind der entscheidende Zusammenhang, der die Produktion und die Bedürfnisse bestimmt, sondern der Wert; die Produktion von Reichtum in den Formen der abstrakt menschlichen Arbeit hat die Dominanz und bestimmt unsere gesellschaftlichen Zusammenhänge. »Innerhalb des Wertverhältnisses und des darin einbegriffenen Wertausdrucks gilt das abstrakt Allgemeine nicht als Eigenschaft des Konkreten, Sinnlich-Wirklichen, sondern umgekehrt das Sinnlich-Konkrete als bloße Erscheinungs- oder bestimmte Verwirklichungsform des Abstrakt-Allgemeinen … Menschliche Arbeit zu sein gilt als ihr Wesen, Schneiderarbeit zu sein nur als Erscheinungsform oder bestimmte Verwirklichungsform dieses ihres Wesens.« Das, was Marx beschreibt, hat er den Warenfetisch genannt, der weiter entwickelt auch als Geld- und Kapitalfetisch auftritt. Dieser Fetisch verkehrt die gesellschaftlichen Verhältnisse des Kapitalismus bis heute und ist dafür verantwortlich, dass die Menschen sogar daran glauben, dass eine sozialistische Warenproduktion möglich sei.
Der kapitalistische Reproduktionsprozess ist die Einheit von Warenproduktion und Warenzirkulation. Er ist allgemeine und globale Warenproduktion, Mehrwertproduktion als gesellschaftlicher Selbstzweck. Seine Keimzelle, seine Grund- oder Urform, die auch schon vorkapitalistisch existierte, ist die Wertform. Die Warenzirkulation funktioniert ohne Warenproduktion, aber Warenproduktion funktioniert nicht ohne Warenzirkulation. Nur wer dies berücksichtigt, kann die abstrakt menschliche Arbeit richtig einordnen.
Warenzirkulation sowie Finanz- und Spekulationskapital gab es schon in vorkapitalistischen Zeiten, ohne das es allgemeine Warenproduktion gab. In der Regel wurde nur der Überschuss zum Markt gebracht. Wie aber wurde aus Gebrauchswerten, aus Arbeitsprodukten, die von Sklaven erarbeitet wurden, Waren? Indem die in ihnen latent vorhandene allgemein menschliche Arbeit sie im Austausch zu Waren machte. Auch die ungleiche menschliche Arbeit von Sklaven hatte am Markt ihren Preis, auch wenn dies kein Äquivalententausch war.
Rolf Hecker/Ingo Stützle (Hg.): Karl Marx. Das Kapital 1.1 bis 1.5. Fünf Bände im Schuber. Karl Dietz Verlag, 896 S., br., 30 €.
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