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Studentischer Budenzauber

Ob Wohnheim oder Privatvermieter: Studierende kämpfen immer härter um bezahlbare Unterkünfte

  • Philip Zeitner
  • Lesedauer: 8 Min.

60 bis 90 Minuten braucht man mit der Bahn vom Hagener Hauptbahnhof bis zur Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf. Anderthalb Stunden, die Patrick Gregorz drei Semester lang zweimal täglich gefahren ist. Der 23-Jährige studiert in Düsseldorf Sozialwissenschaften. Doch leben, das konnte er in der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt nicht; eine bezahlbare Wohnung war einfach nicht zu finden. 10,90 Euro pro Quadratmeter Kaltmiete, so viel kosten laut dem Immobilienportal immowelt.net kleinere Mietwohnungen unter 30 Quadratmetern. Nach oben sind die preislichen Grenzen offen, gerade im Innenstadtbereich. Ohne entsprechende finanzielle Unterstützung der Eltern ist das für Studierende kaum zu bewältigen, liegt die BAföG-Wohnpauschale doch bei gerade einmal 250 Euro im Monat. »Gerade Studierende, die aus Arbeiterfamilien kommen, haben es in Düsseldorf schwer«, sagt Patrick.

Dass er und andere Studierende sich überhaupt dem harten Konkurrenzkampf auf dem privaten Wohnungsmarkt aussetzen müssen, liegt an der mangelnden Versorgung mit Wohnheimen. So studieren im Einzugsbereich des Studierendenwerkes Düsseldorf 68 000 Menschen, allein in der Landeshauptstadt 8000. Ihnen stehen in 25 Anlagen nur 4000 Plätze zur Verfügung und diese sind heiß begehrt. Es gibt zwar einige Notunterkünfte, in denen Studierende in Schlafsälen übernachten, doch auch diese decken bei weitem nicht den Bedarf.

Zahlen und Fakten
  • 2,8 Millionen Menschen studierten in Deutschland im Wintersemester 2017/2018. Das waren so viele wie noch nie. Etwas mehr als eine halbe Million zählte zum Erstsemester.
  • 325 Euro geben Studierende im Schnitt als Monatsmiete aus. Das sind gut 40 Prozent ihres Einkommens, wie eine Studie des Immobilienunternehmens CBRE und der Deutschen Kreditbank ergab.
  • Studentenappartments im Wert von mehr als einer halben Milliarde Euro wurden in Deutschland im vergangenen Jahr verkauft, berichtete jüngst das »Handelsblatt«. Tendenz steigend: Dieser Wert wurde allein im Januar 2018 schon fast erreicht. 
  • Am stärksten sind in letzter Zeit die Mieten für studentischen Wohnraum in Berlin angestiegen. Das ermittelte das Portal wg-suche.de bei einem Vergleich von 160 deutschen Städten, in denen es Hochschulen oder Universitäten gibt. Im Vergleich zum Vorjahr gingen die Mietpreise in Berlin um sechs Prozent nach oben, im Vergleich zu 2011 um 39 Prozent. Gemessen in absoluten Zahlen hat die Hauptstadt das obere Mittelfeld erreicht. Am teuersten ist immer noch München.

Die Deutschen Studentenwerke (DSW) sind sich des Problems durchaus bewusst und fordern deshalb eine deutliche Erhöhung der Fördergelder von Bund und Ländern. Doch bisher ist das Gegenteil der Fall. »Die bundesweite Versorgungsquote von staatlich geförderten Wohnheimplätzen in Relation zur Zahl der Studierenden ist seit 2008 von 12,13 Prozent kontinuierlich auf 9,62 Prozent im Jahr 2017 gesunken«, sagt Petra Nau vom DSW. Deshalb würden die bisherigen Maßnahmen längst nicht ausreichen, um dem steigenden Bedarf gerecht zu werden. Dass dieser besteht, zeigt sich deutlich an den langen Wartelisten für die Wohnheime. Im Wintersemester 2017/18 hatten sich darauf 1400 Studierende im Hamburg, 1600 in Köln und sogar über 10 000 in München eintragen lassen.

Um die bestehenden preiswerten Wohnmöglichkeiten zu erhalten, haben die Studierendenwerke einen Investitionsbedarf von 1,3 Milliarden Euro für die kommenden vier Jahre errechnet. Das entspricht einem notwendigen Zuschussvolumen von 650 Millionen Euro. Das erwartungsgemäß hoch bleibende Niveau der Studierendenzahlen erfordert jedoch auch Schaffung von zusätzlichem Wohnraumangebot. Etwa 25 000 neue bezahlbare Wohnheimplätze müssten geschaffen werden, was ein zusätzliches Investitionsvolumen von zwei Milliarden Euro bedeutet und einen staatlichen Zuschuss von mindestens 800 Millionen Euro.

Konkret verlangen die Studentenwerke von Bund und Ländern zusätzlich zum Hochschulpakt, der helfen soll, die höheren Zahlen an Studierenden zu bewältigen, einen Hochschulsozialpakt, speziell für den Erhalt und den Ausbau der Wohnheime der Studierendenwerke. Diese wollen damit neuen und bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung stellen, »der sich an der BAföG-Wohnbedarfspauschale orientiert«, sagt Petra Nau.

Nicole Gohlke, hochschulpolitische Sprecherin der LINKE-Bundestagsfraktion, schließt sich der Forderung der DSW nach einer Erweiterung des Hochschulpakts an. Sie sieht insgesamt »gravierende Unterlassungsfehler« in der Wohnungsbaupolitik von Bund und Ländern. »Die jetzige Krise war lange vorhersehbar und hätte verhindert werden könnten«, fügt sie an.

Neben der Erweiterung des Hochschulpakts fordert die Linkspolitikerin auch, dass einigen Studierendenwerken das Recht eingeräumt wird, eigenständig Kredite aufzunehmen. »Wir sollten die Niedrigzinsphase nutzen, um öffentliche Investitionen zu tätigen«, meint Gohlke. Den Kommunen müsse bei Grundstücken, die im Besitz des Bundes sind, außerdem ein preislimitiertes Vorkaufsrecht eingeräumt werden, um günstige Neubauten zu ermöglichen. »In jedem Fall darf kein weiterer öffentlicher Raum privatisiert werden.«

Um den wenigen bezahlbaren Wohnraum ist ein harter Konkurrenzkampf entbrannt. So auch zwischen Studierenden und vielen anderen Gruppen, die wenig Einkommen beziehen. Die Einkommenssituation und der Wohnraummangel sind eng miteinander verbunden.

Im vergangenen Jahr legte die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung eine Studie vor, die aufzeigt, dass gerade Menschen mit geringem Einkommen häufig zu viel Geld für die Miete ausgeben müssen. Demnach gehen bei 40 Prozent der Einwohner in Großstädten mehr als 30 Prozent ihrer finanziellen Mittel allein für Mietkosten drauf. Aufwendungen von über 30 Prozent gelten als problematisch, weil dann zu wenig Geld für die sonstige Lebensführung übrigbleibt. Die Studie zeigt, dass zu diesen 40 Prozent gerade Haushalte gehören, in denen das Einkommen pro Person bei nur rund 650 Euro liegt. Und: GeringverdienerInnen sind noch im Glück, wenn sie überhaupt eine Bleibe gefunden haben. In den 77 Deutschen Großstädten - die häufig auch Universitätsstädte sind - fehlen 1,9 Millionen bezahlbare Wohnungen.

Um den wütenden Konkurrenzkampf abzumildern, schlägt die Bundestagsabgeordnete Gohlke neue Kooperationen zwischen Kommunen und Studierendenwerken vor, die sich die Bauträgerschaft teilen könnten. Ihr schwebt »eine Art Mehrgenerationenhaus für Studierende, junge Familien, Seniorinnen und Senioren, mit und ohne Migrationsgeschichte« vor. »Wir würden nicht die verschiedenen Gruppen gegeneinander ausspielen, sondern in gemeinsamen Projekten und Wohnformen zusammenbringen«, sagt Gohlke. Dabei müsse unbedingt öffentlich vor privat stehen: »Der Markt wird das Problem nicht lösen.«

Für die Politik ist die Wohnraumfrage eine der großen sozialen Fragen unserer Zeit. Gohlke sieht sie als ein gewaltiges Problem an. Ein Problem, »das die Ungerechtigkeit und Härte des Kapitalismus spürbar macht«.

Auch im westfälischen Münster spürt man diese Härte. Münster gilt, neben seinem Ruf als Fahrradstadt, auch als Studierendenparadies. Etwas mehr als 300 000 EinwohnerInnen leben hier, und an der Westfälischen Wilhelms-Universität studieren 45 000 Menschen. Auch Robert Dietrich lebt und studiert hier und hat die Härte des Konkurrenzkampfes um Wohnraum erleben müssen. Nach einer Zeit in Berlin, in der er von Zwischenmiete zu Zwischenmiete, von Sofa zu Sofa ziehen musste, um ein Dach über dem Kopf zu haben, begann er ein Studium in Münster, wo er nach langer Suche schließlich eine Bleibe fand.

An der Wilhelms-Universität betreut Dietrich das Referat für finanziell und kulturell benachteiligte Studierende, kurz fikuS. Dort werden Studierende mit geringen finanziellen Möglichkeiten beraten, häufig Studierende aus Arbeiterfamilien.

Denn gerade diese haben es schwer, eine Wohnung oder ein WG-Zimmer zu finden. Da auch in Münster die Wartelisten für die Wohnheime lang sind, bildet der private Wohnungsmarkt häufig die einzige (und oft genug unbezahlbare) Alternative. Dietrich hat einige Menschen kennengelernt, die ihr Studium deshalb abbrechen mussten. »Wer keine Bürgschaft der Eltern oder finanzielle Rückendeckung hat, kann nicht mal eben eine Kaution von 1000 Euro zahlen und billige Einbauküchen überteuert abkaufen«, sagt Dietrich.

Ohne bezahlbaren Wohnraum seien weniger Privilegierte von einem Grundrecht abgeschnitten. »Würde es in Nordrhein-Westfalen das Semesterticket, mit dem man den gesamten Regionalverkehr nutzen kann, nicht geben, wären noch mehr Arbeiterkinder vom Studium in Münster ausgeschlossen«, ergänzt Dietrich. Denn viele Studierende aus ganz NRW müssen zur Uni pendeln. Die Wohnraumknappheit führe so zu weiteren sozialen Selektionsmechanismen. »Die Privilegierten können weiterhin machen was sie wollen, der Rest muss auf Plan B und C ausweichen oder das Studium ad acta legen.«

Neben dem Ausschluss von weniger finanzkräftigen jungen Menschen wirkt das Wohnraumproblem sich auch auf Lebensbereiche junger Menschen, die nicht von Zahlen erfasst werden. Gerade StudienanfängerInnen müssen auf Selbstständigkeit verzichten. Auf ihre erste eigene Wohnung und die Erfahrungen, die damit einhergehen. Wer sich doch eine Wohnung leisten kann, in dem er den Großteil seiner Zeit mit Nebenjobs verbringt, muss nicht nur das Studium schleifen lassen, sondern auch soziale Betätigungen, politisches Engagement oder schlicht die Freizeitgestaltung hintanstellen. Dann fehlt plötzlich nicht mehr nur das Geld, sondern auch noch die Zeit.

Der Leipziger Student Henning Behrends nutzt seine Zeit für politisches und soziales Engagement. In der sächsischen Metropole sieht die Situation noch etwas anders aus. Die Mietpreise liegen im Schnitt deutlich unter denen in anderen Groß- und Universitätsstädten wie München, Berlin oder Frankfurt, Düsseldorf oder Münster. Der durchschnittliche Preis für einen Quadratmeter liegt bei etwa sechs Euro, auch wenn die Mietkostenbelastung etwa 35 Prozent des Einkommens ausmacht.

Auch hier sind Verdrängungs- und Gentrifizierungsprozesse im Gang. Doch im öffentlichen Diskurs wird dem erst seit kurzer Zeit vermehrt Beachtung schenkt, da es noch recht lange vergleichsweise günstige Wohnungen gab.

Behrends hat im Januar 2017 mit anderen einen Miettreff ins Leben gerufen. Hervorgegangen ist der Treff aus einer Kombination aus Stadtteilladen und der Ortsgruppe der Interventionistischen Linken. In den Stadtteilladen kamen mit der Zeit immer mehr Menschen mit Mietproblemen und daraus entstand die Idee, dafür eine gesonderte Anlaufstelle anzubieten. Seitdem können sich einmal im Monat alle mit einem Anliegen rund ums Thema Wohnen zusammenfinden. Sei es eine plötzliche Kündigung, falsche Nebenkostenabrechnungen oder sonstige Repressionen der VermieterInnen. Gemeinsam schauen die MieterInnen dann wo das Problem liegt, geben Tipps, beraten und unterstützen einander. Auch ein angehender Jurist gehört dazu. »Der bringt natürlich ein bisschen Expertise in die Runde, doch im Prinzip ist das Ziel: Mieter helfen Mietern«, sagt Behrends.

Etwa 70 Prozent der Teilnehmenden studieren und müssen der sozialen Verdrängung verstärkt Paroli bieten. Luxussanierungen und Mietsteigerungen werden immer häufiger. »Aktuell decken die meisten Finanzierungsmodelle für Studierende, etwa BAföG oder Stipendien, die Miete noch.« Doch das ändert sich.

Leipzig wird hin und wieder als »das neue Berlin« bezeichnet. »Leipzig hat ein neues Image. Gerade kunstaffine und hippe Leute ziehen her«, sagt Behrends. Darunter eben auch viele Studierende. Doch diese seien nicht das Problem und schon gar nicht die Ursache der Gentrifizierung, betont er: »Studis finden vermehrt keine Wohnung. Es sind die HausbesitzerInnen, die gentrifizieren.«

Vor sieben Jahren, als Behrends zum Studium nach Leipzig ging, »haben die VermieterInnen noch richtig um einen gebuhlt, da wurden einem zwei bis drei Monate mietfrei angeboten, wenn man eingezogen ist«, erinnert er sich. Mittlerweile gibt es in den Groß- und Universitätsstädten des gesamten Bundesgebietes einen gegenteiligen Trend. Die Mieten explodieren, der Markt ist völlig überhitzt. Darunter haben gerade GeringverdienerInnen zu leiden. Und zu diesen gehören auch die Studierenden.

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