»Irgendwann klappt es mit den Rollen«
Deutsch-vietnamesische Medienmacher berichteten auf einer Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung über ihren Umgang mit Vorurteilen, Ausgrenzung und den hohen Erwartungen der ersten Einwanderergeneration
Am Anfang standen Castings. »Ich habe viele Absagen bekommen«, sagt die deutsch-vietnamesische Schauspielerin Mai Duong Kieu (30). »Das war gar nicht anders als bei deutschen Jungschauspielern.« Aber irgendwann klappte es mit den Rollen. Mai Duong Kieu gehört zu jenen jungen Deutsch-Vietnamesen der zweiten Einwanderergeneration, die sich für einen Medienberuf entschieden hatten. Das gemeinnützige Unternehmen VLAB hatte gemeinsam mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung zu einer Podiumsdiskussion mit jungen deutsch-vietnamesischen Talenten in der Medienlandschaft eingeladen.
Mai Duong Kieu wurde in Vietnam geboren und kam 1992 im Alter von fünf Jahren zu ihrem Vater nach Chemnitz. Der war in der DDR Vertragsarbeiter. Heute lebt sie in Hamburg. In der ZDF-Serie »Bad Banks« spielt sie eine durchgehende Rolle als Investmentbankerin. Doch oft seien die Rollen, die ihr angeboten worden, sehr ähnlich, sagt Mai Duong Kieu. »Es ist ein bisschen gemein, dass ich als Asiatin da festgelegt bin. Ich werde nicht einfach mal für eine Christine oder für eine Maria besetzt.«
Es gibt weitere Probleme, die vietnamesischstämmigen Medienmachern gemeinsam sind. »Wir haben keine Netzwerke«, sagt der Theaterregisseur und Hörspielautor Dan Thy Nguyen aus Niedersachsen, Sohn einer vietnamesischen Flüchtlingsfamilie. Er hat ein Hörspiel über die 1992 im Rostocker Sonnenblumenhaus von Nazis bedrohten vietnamesischen Vertragsarbeiter geschrieben. »Andere Theaterkollegen stammen aus Familien, die seit Generationen am Theater arbeiten. Die sind ganz anders vernetzt und können auch auf Kapital zurückgreifen.« Und dann gäbe es Vorurteile gegen Asiaten, erzählt der Mann weiter. »Asiaten gelten als technisch gut, beispielsweise als Orchestermusiker. Aber ihnen wird nachgesagt, wenig kreativ zu sein und damit keine Diskurse mitbestimmen zu können. Das behindert Besetzungen.« Schwierig sei auch, dass Vietnamesen der ersten Einwanderergeneration nicht ins Kino oder Theater gingen. Die brauche man aber als Publikum.
Hinzu kommt, wie es die Schauspielerin Mai Duong Kieu formuliert: »Wir haben einen anderen Auftrag von unseren Familien bekommen als den, in einen Medienberuf zu gehen. Wir sollten Ärzte werden oder BWLer oder Ingenieure und sicheres Geld verdienen.« Das bestätigt auch der Dokumentarfilmer Duc Ngo Ngoc aus Berlin. Auch er ist ein Vertragsarbeiterkind, der mit fünf Jahren nach Deutschland kam. Dem Auftrag seiner Eltern entsprechend hatte er hervorragende Noten in der Schule und begann nach dem Abi ein Ingenieurstudium. Bis ihm klar wurde, dass das nicht sein Ding ist. »Ich wollte zum Film. Damals konnten sich meine Eltern so etwas nicht vorstellen. Heute verstehen sie mich und sind sogar stolz auf mich«, sagt er. Obwohl der 29-Jährige mit dem Motorroller durch den Prenzlauer Berg fährt, was nicht gerade den Prestigewünschen seiner Eltern entspricht. Aber seine Filme erzählen Geschichten, die seinen Eltern nahe sind. So etwa sein humorvoller Kurzfilm »Obst und Gemüse« über die Beziehung zwischen einem vietnamesischen Ladeninhaber in Prenzlauer Berg und seinem deutschen Mitarbeiter.
Der erste lange Dokumentarfilm des 29-Jährigen, »Farewell Halong«, der nach der Podiumsdiskussion gezeigt wurde und der derzeit in vielen Programmkinos läuft, erzählt von der größten Umsiedlung in der neuen vietnamesischen Geschichte: Menschen, die über Generationen im Weltnaturerbe Halong-Bucht in schwimmenden Dörfern gelebt haben, sollten auf staatliches Geheiß ans Festland in feste Häuser ziehen. Sie freuten sich auf ihre Häuser, freuten sich, elektrischen Strom zu haben. Doch was machen Menschen, die ihr Leben lang vom Fischfang und vom Verkauf von gekühlten Getränken und Obst an Touristen gelebt hatten, auf dem Festland? Sie vermissen den Zusammenhalt in der alten Dorfgemeinschaft. Auf dem Festland gibt es Probleme, die sie früher nicht kannten: Sie finden keine Arbeit. Es drohen Alkohol, Spielsucht und Verschuldung. Die erwerbstätige Generation kehrte auf Booten aufs Meer zurück. Nur die Kinder und die Veteranen blieben in ihren festen Häusern. Der Film erinnert an den Roman »Abschied von Matjora« des sowjetischen Autors Walentin Rasputin über die Zwangsumsiedlung des Dorfes Matjora wegen eines Staudammprojektes.
Duc Ngo Ngoc hat für den Film sechs Monate lang mit »seiner« Familie auf dem und am Meer gelebt, gegessen, getrunken und den Naturgewalten in der Halong-Bucht getrotzt. Der Film besticht durch die Nähe zu den Protagonisten, die wunderschönen Landschaftsbilder und durch die Musik von Martin Kohlstedt, eines Freundes des Regisseurs aus der Zeit seines Bachelor-Studiums in Weimar.
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