Politik. Macht. Körper.

In der Debatte um den Paragraphen 219a zeigen sich deutlich rechtspopulistische Mechanismen, Frauen dort anzugreifen, wo sie am verwundbarsten sind: an ihrem Körper.

  • Simone Schmollack
  • Lesedauer: 5 Min.

Man stelle sich folgende Situation vor: Eine junge Frau surft durchs Netz, sie will wissen, wann diese Übelkeit in den ersten Schwangerschaftswochen aufhört. Die Frau gerät zufällig auf eine Seite, die über Schwangerschaftsabbrüche aufklärt. Sie liest, wie solch ein Eingriff vonstatten geht, was dabei mit ihrem Körper passiert. Sie erfährt von Risiken und möglichen psychischen Folgen. Ah, sagt sich die junge Schwangere, ich muss den Fötus in meinem Bauch ja gar nicht austragen. Ich kann auch abtreiben. Dann mach ich das doch mal.

Krasses Szenario? Ja, ein krasses Szenario! Aber eines, an das offensichtlich manche Menschen glauben. Zumindest kann man diesen Eindruck gewinnen, wenn man sich eine Debatten des vergangenen Jahres vor Augen führt. Im Dezember 2017 wurde die Ärztin Kristina Hänel vom Amtsgericht Gießen zu einer Geldstrafe in Höhe von 6000 Euro verurteilt. Begründung: Die Medizinerin habe unerlaubte Werbung für Abtreibungen gemacht. Hintergrund ist der umstrittene Paragraf 219a, der »das öffentliche Anbieten, Ankündigen oder Anpreisen von Schwangerschaftsabbrüchen« verbietet. Hänel ging in Berufung, verlor und will nun vors Bundesverfassungsgericht ziehen.

Die Debatte um Schwangerschaftsabbrüche ist wieder da. Und mit ihr sämtliche Fragen um den weiblichen Körper, den ethischen Umgang mit geborenem und ungeborenem Leben. All diese Diskurse glaubten wir längst hinter uns gelassen zu haben. Dass eine Frau unter bestimmten Bedingungen eine Schwangerschaft beenden kann, wenn sie sich nicht in der Lage fühlt, (erneut) Mutter zu werden, ist für uns unumstößliche Gewissheit. Die Möglichkeit der freien Entscheidung für oder gegen ein Kind, die in der Hand der Frau liegt, erscheint uns so selbstverständlich wie das Recht auf Verhütung.

Doch nichts ist unanfechtbar. Schon gar nicht die Rechte der Frauen. Das führen uns seit einem Jahr sogenannte Lebensschützer*innen und andere populistische Kräfte deutlich vor Augen. Sie ziehen gegen das Recht auf Abtreibung zu Felde, postieren sich vor Frauenarztpraxen, zeige Ärzt*innen an, die über Schwangerschaftsabbrüche aufklären. Seit dem »Hänel-Urteil«, so scheint es, mit besonderer Eindringlichkeit.

Das hat Folgen: Abtreibung mit allen Pro und Kontras ist wieder »ganz oben« angekommen, am Donnerstag debattierte der Bundestag über 219a. Es schien, als sei die Zeit stehen geblieben. Zuletzt hatte das Parlament 1993 intensiv über Schwangerschaftsabbrüche verhandelt und am Ende die Fristenlösung beschlossen. Es ging hoch her damals, Konservative plädierten für ein Abtreibungsverbot, progressive Kräfte für eine ersatzlose Streichung. Der Kompromiss war das bis heute gültige Gesetz, nach dem Abtreibung innerhalb der ersten zwölf Schwangerschaftswochen rechtswidrig, aber straffrei ist.

An dem Diskurs hat sich bis heute nicht viel geändert. Die Debatte am Donnerstag reichte vom Beharren auf dem »Selbstbestimmungsrecht der Frauen« bis hin zum »unbedingten Schutz ungeborenen Lebens«.

Was sagt das über den Zustand der Gesellschaft? Über Frauen, Frauenleben und wie viel eine weibliche Meinung wert ist?

Frauenrechte und weibliche Freiheiten sind heute unumstößliche Tatsachen. Aber das muss nicht so bleiben. Davon zeugt allein die Zusammensetzung des aktuellen Bundestags: Nicht ganz ein Drittel der Abgeordneten sind weiblich, das sind so wenig Frauen im Parlament wie zuletzt 1998. Dafür sorgen vor allem Parteien mit einem konservativ-liberalen Profil, allen voran die AfD. Gleichstellung ist für die Partei ein Fall von »Kann weg«.

1992 kam ein Buch auf den Markt: »Backlash. Die Männer schlagen zurück«. Die US-amerikanische Autorin Susan Faludi zeichnet darin ein düsteres Bild: Emanzipation und Frauenbewegung werden zurückgedrängt. Nachdem Frauen es geschafft hatten, sich in einem jahrhundertelangen allerlei Räume zu ertrotzen, holen reaktionäre, zumeist männliche Kräfte zum Gegenschlag aus.

Ein hochaktuelles Szenario: Rechtspopulist*innen versuchen Heute an vielen Stellen, genderpolitische Errungenschaften zurückzudrehen: Quoten finden sie überflüssig und Frauen prima in der Mutterrolle aufgehoben. Eine Ehe hat aus Mann und Frau zu bestehen, im Sexualkundeunterricht sollte Heterosexualität propagiert werden. Und natürlich: Abtreibung gehört verboten. Hinter diesem Diktum steckt mitnichten der Anspruch auf Schutz des ungeborenen Leben, sondern ein Frontalangriff auf Frauen, insbesondere dort, wo sie am leichtesten verwundbar sind: an ihrem Körper.

Es beginnt bei »körperpolitischen« Vorgaben wie Gewicht, Alter, Behaarung. Ein schwedisches Model erntete vor einem Jahr im Netz einen Shitstorm, nachdem die junge Frau Fotos von sich gepostet hatte, die sie mit behaarten Beinen zeigt. Die Autorin Magda Albrecht erlebt regelmäßig, dass ihr Intellekt und Denkvermögen abgesprochen werden. Warum? Sie hat nicht die Maße von Heidi Klum. Den Fernsehmoderatorinnen Claudia Ludwig, Benedicta Junghanns und Angela Maas wurden vor einigen Jahren gekündigt - weil sie mit 50 nicht mehr jung genug für den Bildschirm waren. So geht das weiter - und es endet bei direkten Angriffen auf die weibliche Autonomie. In der zum Massenphänomen gewordenen Bewegung MeToo gegen sexualisierte Gewalt, im Kampf für Reproduktionsrechte sehen Rechtspopulist*innen Angriffe auf Männer. Wehren sich Frauen gegen physische und psychische Gewalt, findet nicht selten eine Täter-Opfer-Umkehr statt: Die Schuld für Gewaltausbrüche wird beim Opfer und nicht beim Täter gesucht.

Frauen, die darüber schreiben und twittern, werden beschimpft, erhalten Vergewaltigungsdrohungen. Der österreichischen Ex-Grünen Sigi Maurer will jemand »gerne in deinen fetten Arsch ficken«. Die Autorin Margarete Stokowski (»Das Ende des Patriarchats«) wird als »Schlampe« bezeichnet, die »erschossen gehört.« Die US-amerikanische Psychologin Christine Blasey Ford lebt derzeit wegen Morddrohungen mit Personenschutz, ihre Wohnung hat sie auf unbestimmte Zeit verlassen. Sie hatte es gewagt, sexuelle Übergriffe des Juristen am obersten Gerichtshof Brett Kavanaugh öffentlich zu machen.

Am Donnerstag sagte ein AfD-Abgeordneter bei der 219a-Debatte im Bundestag, das ungeborene Leben müsse »gegen Mütter geschützt werden«. Eine schärfere Abwertung von Frauen gibt es kaum. Doch der Widerstand gegen solche Angriffe groß. @femInsist twitterte: »Um mal meine Mutter zu zitieren: Weniger reden, mehr machen.« Ein Appell an alle demokratischen Kräfte.

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