- Wirtschaft und Umwelt
- Steuern in der EU
Am schlimmsten in Luxemburg
Konzerne zahlen in den EU-Staaten erheblich weniger Steuern, als sie eigentlich müssten
Die EU-Kommission hat das Problem eigentlich erkannt: Gerade multinationale Großkonzerne zahlen trotz ihrer Finanzstärke in Europa reichlich wenig Steuern. Um das zu ändern, hat Brüssel Initiativen zu länderspezifischer Steuertransparenz und zur Begrenzung der vielen Möglichkeiten zum Tricksen auf den Weg gebracht, und auch eine Digitalsteuer für die großen Internetkonzerne ist im Gespräch. Allerdings zieht sich beides hin, denn zahlreiche Staaten opponieren offen dagegen, weichen die Vorhaben auf oder verzögern die Gesetzgebungsverfahren.
Immerhin ist in Brüssel angekommen, dass es im Zusammenhang mit den Unternehmenssteuern weniger um die unterschiedliche Höhe der Steuersätze in den 27 EU-Ländern geht als um die tatsächlichen Zahlungen. Denn die Diskrepanz zwischen beiden Werten ist groß: Eigentlich müssten die Kapitalgesellschaften in der EU durchschnittlich 23 Prozent ihrer Gewinne als Unternehmenssteuern abführen, tatsächlich sind es nur 15 Prozent. Das ist das Ergebnis der am Dienstag vorgestellten Studie »Effective Tax Rates of Multinational Enterprises in the EU« im Auftrag der Grünen/EFA-Fraktion im Europaparlament. Die Lücke zwischen nominalem und effektivem Steuersatz entsteht laut der Untersuchung vor allem durch Sonderabsprachen einzelner EU-Mitgliedstaaten mit multinationalen Unternehmen, durch Steuerschlupflöcher wie die berüchtigten Patentboxen (Regelungen über eine besonders niedrige Besteuerung von Lizenzeinnahmen) und die Nichtbesteuerung von Gewinnen aufgrund unvollkommener Doppelbesteuerungsabkommen.
Autor Petr Janský hat sich für die Studie durch die Datenbank Orbis des Informationsanbieters Bureau van Dijk gekämpft, die Bilanzzahlen von 120 Millionen Unternehmen weltweit enthält. Dieses Vorgehen ist nicht optimal, da es eben auf Angaben der Unternehmen selbst beruht, aber Orbis sei die »am besten verfügbare Datenquelle«. Die Zahlen beziehen sich auf den Zeitraum 2011 bis 2015. Aktuell dürfte es nicht besser aussehen.
Am schlimmsten treibt es den Angaben zufolge Luxemburg: In dem kleinen Finanzparadies zahlen Unternehmen mit 2,2 Prozent ihrer ausgewiesenen Gewinne so wenig Steuern wie nirgends sonst in Europa - und die Diskrepanz zum eigentlich verlangten Steuersatz (29,1 Prozent) ist am größten. Auch in Ungarn (7,5 statt 19 Prozent) werden viele Augen zugedrückt. In Deutschland (19,6 statt 29,4 Prozent; die Summe ergibt sich aus Körperschaft- und Gewerbesteuer plus Solidaritätszuschlag) ist die Diskrepanz hoch. In Italien ist die Steuerlast mit rund 30 Prozent hingegen besonders hoch - lässt man das Nicht-EU-Land Norwegen (48,7 Prozent) außer acht - und sie liegt nur einen Prozentpunkt unter dem gesetzlich fälligen Steuersatz. In Griechenland und Irland sind die tatsächlichen Zahlungen sogar etwas höher als der durchschnittliche nominale Steuersatz.
Die Studie weist besonders auf einen Missstand hin: dass kleinere, lokal tätige Unternehmen in den meisten Ländern benachteiligt werden gegenüber grenzüberschreitend tätigen Konzernen. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Letztere können sich eine eigene Rechtsabteilung leisten, die den nationalen Steuerdschungel nach Schlupflöchern durchsucht, um die Steuerlast maximal zu reduzieren. Und sie haben auch mehr Möglichkeiten und Machtpotenzial, um eigene Steuerdeals mit den nationalen Behörden auszuhandeln.
»Es ist nicht hinnehmbar, dass die größten grenzüberschreitend tätigen Unternehmen am stärksten vom Steuerdumping profitieren«, kritisiert daher der finanzpolitische Sprecher der Grünen im Europaparlament, Sven Giegold. Er fordert mehr Transparenz über die Steuerpraktiken multinationaler Unternehmen und lobt den Vorschlag der Europäischen Kommission. Die Bundesregierung fordert er dabei zum Umdenken auf: »Finanzminister Olaf Scholz muss seine Blockade gegen verpflichtende länderbezogene Steuertransparenz aufgeben.«
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