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Allein gelassen - vom Staat
Alleinerziehende haben mehr zu leisten und wenig Hilfe. Am Samstag demonstrierten sie
»Viele alleinerziehende Mütter und Väter müssen mit spitzem Bleistift rechnen. Sie können ihren Kindern nicht das Leben bieten, das sie gerne für sie hätten«, sagt Ute Durchholz. Die Alleinerziehende ist mit ihrem Sohn Emil aus Bochum nach Berlin gekommen, um an der Demonstration »Es reicht für uns alle« teilzunehmen. Rund 200 Menschen demonstrierten nach Veranstalterangaben vergangenen Sonnabend gegen Kinderarmut und für eine gerechte Besteuerung von Alleinerziehenden.
Ute Durchholz ist keine typische Alleinerziehende. Ihr ehemaliger Lebensgefährte zahlt den vollen Unterhalt für seinen Sohn. Als vollzeitbeschäftigte wissenschaftliche Referentin bezieht die Alleinerziehende zudem ein relativ hohes Einkommen. Zum Vergleich: Nur 25 Prozent der Alleinerziehenden erhalten den ganzen Unterhalt, 58 Prozent der erwerbstätigen alleinerziehenden Mütter sind in Teilzeit beschäftigt. Knapp ein Drittel der Alleinerziehenden gelten als armutsgefährdet, weil sie weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Einkommens der Gesamtbevölkerung beziehen.
Dass auch sie als Alleinerziehende benachteiligt ist, muss Durchholz jedes Jahr bei der Steuererklärung feststellen: »Steuerlich bin ich mit meinem Sohn schlechter gestellt, als wenn er ein erwachsener Mann und mit mir verheiratet wäre.« In diesem Fall würde die alleinerziehende Mutter vom Ehegattensplitting profitieren, bei dem sich der zu zahlende Einkommenssteuersatz am halbierten Gesamteinkommen der Eheparter*innen bemisst. Als Alleinerziehende wird Durchholz fast wie ein Single besteuert. Rund 7 000 Euro verliert sie dadurch pro Jahr.
Wenn ein Paar sich trennt, bedeutet das für das alleinerziehende Elternteil häufig nicht nur steuerliche Nachteile. »Nach der Trennung von meinem Mann, mussten wir zur Tafel, weil das Geld nicht mehr gereicht hat«, erzählt Nadja Flury. Die Krankenschwester aus Herne ist mit ihrem 14 Jahre alten Sohn und ihrer zwölf Jahre alten Tochter zu der Demonstration gekommen. Vor ihrer Ehe hatte Flury ihre Ausbildung zur Krankenschwester wegen eines Verkehrsunfalls abbrechen müssen. Als Alleinerziehende bezog sie zunächst Hartz IV und schlug sich mit Minijobs durch.
Ihre Ausbildung konnte Flury schließlich in Teilzeit fortsetzen. In Vollzeit wäre ihr dies als Alleinerziehende nicht möglich gewesen. Heute arbeitet sie im Schichtdienst. »Wenn meine Nachbarn nicht da wären und nachts nach den Kindern sehen würden, wäre ich verloren«, sagt sie. Damit Alleinerziehende wie sie Beruf und Familie besser vereinbaren können, müsse vor allem die Kinderbetreuung in Randzeiten ausgebaut werden.
Kinder von Alleinerziehenden leben oft in prekären Verhältnissen. »Ich bin heute hier, weil ich in Armut aufgewachsen bin«, sagt Sarah Heinrich aus Unna. Ihre Mutter ist alleinerziehend und bezieht Hartz IV. »Als ich auf das Gymnasium kam, wurden die Unterschiede in der materiellen Ausstattung deutlich«, erinnert sich Heinrich, die gerade ihre letzte Abiturprüfung geschrieben hat. »Wenn meine Freunde in den Sommerferien mit mir in den Urlaub fahren wollten, musste ich immer sagen: 'Tut mir leid, da kann ich leider nicht mitkommen.'« Um Kinder, deren Eltern Hartz IV beziehen, vor Armut zu schützen und ihnen soziale Teilhabe zu ermöglichen, bedürfe es einer Kindergrundsicherung in Höhe von 628 Euro.
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Das fordert auch das Bündnis Kindergrundsicherung, in dem sich Organisationen wie der Paritätische Gesamtverband und das Deutsche Kinderhilfswerk zusammengeschlossen haben. Das Bündnis setzt sich für eine Grundsicherung ein, die jedem Kind ein »sächliches Existenzminimum in Höhe von 408 Euro als unbürokratische Leistung garantiert«. Bis der Staat sämtliche Leistungen für Bildung, Betreuung und Erziehung gebührenfrei zur Verfügung stelle, solle ein weiterer Betrag von 220 Euro gezahlt werden. Aktuell beziehen Kinder von Erwerbslosen und Geringverdiener*innen je nach Alter ein Sozialgeld von 245 bis 316 Euro pro Monat. Die staatlichen Mehrausgaben für eine Kindergrundsicherung würden nach Angaben des Bündnisses bei 30 Milliarden Euro liegen. »Das muss es uns wert sein«, sagt Sarah Heinrich.
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