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Der Washington-Konsensus lebt fort
Der Soziologe Rainer Falk über Kontinuität und Wandel beim Internationalen Währungsfonds und der Weltbank
Seit dem Beginn der Schuldenkrise mit der Zahlungsunfähigkeit Mexikos 1982 sind der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank gewichtige Player in der Entwicklungsfinanzierung. Bei der IWF/Weltbank-Tagung 1988 in Westberlin wurde skandiert: »IWF Mördertreff!« Taugt dieses Feindbild immer noch?
Ich fand diese Charakterisierung damals schon nicht sehr treffend. Insbesondere der IWF übernimmt wichtige Regulierungsaufgaben in der Weltwirtschaft und hat eigentlich die Aufgabe, die Weltwährungsordnung zu stabilisieren. Bis 1973 hatte der IWF auch die Aufgabe, das System der festen Wechselkurse zu überwachen, das dann von den USA gecrasht wurde, als US-Präsident Richard Nixon die Golddeckung für den US-Dollar aufhob. Der IWF ist lender of last resort, also Kreditgeber in letzter Instanz. Länder in Zahlungsschwierigkeiten können sich in der Not an den IWF wenden, wenn kein anderer institutioneller Kreditgeber mehr zur Verfügung steht. Die Funktion des IWF, kurzfristige, unbürokratische Überbrückungskredite im Falle von Zahlungskrisen bereitzustellen, macht Sinn.
Rainer Falk ist Herausgeber des Informationsbriefs Weltwirtschaft & Entwicklung. Der Soziologe verfolgt seit vielen Jahren die Entwicklung beim Internationalem Währungsfonds und der Weltbank.
Aber der schlechte Ruf kommt doch nicht von ungefähr ...
Nein. Der IWF ist vor allen Dingen wegen der Bedingungen der Kreditvergabe in Verruf geraten. Darauf zielte auch im wesentlichen die Kritik am Rande der Westberliner IWF/-Weltbank-Jahrestagung. Die Kreditvergabe wurde vom IWF mit neoliberalen wirtschaftspolitischen Vorgaben verknüpft, die Sozialpolitik war zweitrangig, Kürzungen im Bildungs- und Gesundheitssektor wurden zum Defizitabbau auferlegt. Der Abbau des öffentlichen Sektors, die steigende Arbeitslosigkeit und andere soziale Probleme brachten ganze Gesellschaften in tiefe Krisen.
Bei den Vorgaben wurde der sogenannte Washington-Konsensus zugrunde gelegt, jenes Entwicklungskonzept, das der IWF und die Weltbank im Verein mit der Regierung der USA und den anderen in Washington ansässigen Finanzinstitutionen ab Ende der 80er Jahre propagierten. Der Dreiklang aus Privatisierung, Liberalisierung und Defizitreduzierung war in den Strukturanpassungsprogrammen für die Schuldnerländer gesetzt. Was ist davon geblieben?
Der Washington-Konsensus wurde vielfach für tot erklärt. Es wurde ein »Post-Washington-Konsensus« proklamiert, der eine alternative Politik einleiten sollte. De facto feiert der Washington-Konsensus aber nach wie vor fröhliche Urständ. Defizitreduzierung bei den öffentlichen Haushalten steht heute ganz oben an bei vielen Staaten, auch ohne dass mit dem IWF ein Stand-by-Arrangement, also ein Bereitschaftskreditabkommen, getroffen wurde. Liberalisierung ist der allgemeine Trend, und Privatisierung ist nach wie vor in Mode. Man müsste noch als viertes Stichwort Deregulierung hinzufügen. Auch das ist nach wie vor Praxis. Und in Form politischer Bedingungen auch nach wie vor mit IWF-Krediten verknüpft.
Vor der Eurozonen-Krise gab es Abgesänge auf den IWF. Vor allem das Missmanagement der Asienkrise in den 1990er Jahren hatte seinen Ruf schwer geschädigt. Ist die Bedeutung nach dem IWF-Engagement in der Griechenland-Krise wieder gewachsen?
Ja, aber weniger wegen des Griechenland-Engagements. Da plädierte der IWF für ein größeres Entgegenkommen, was die Schuldentragfähigkeit des Landes betraf, als der Rest der Troika, sprich die EU-Kommission und die Europäische Zen-tralbank. Aber die wieder gewachsene Bedeutung des IWF liegt daran, dass er ein gefragter Kreditgeber ist, sowohl in Schwellenländern als auch vor allen Dingen in ärmeren Ländern. Der neueste Schuldenreport weist darauf hin, dass 122 von 154 untersuchten Ländern wieder kritisch verschuldet sind.
Kritisch verschuldet ist auch mal wieder Argentinien. 2018 erhielt die neoliberale Regierung von Mauricio einen IWF-Kredit in Rekordhöhe von 57 Milliarden Dollar. Riskant?
Ja. Argentinien befindet sich seit 70 Jahren im wirtschaftlichen Niedergang, obwohl das Land mal zu den 20 reichsten Nationen gehört hat. Die jetzige Krise ist auch ein Ausdruck davon, dass die Regierung Macri den sogenannten Geierfonds 2016 die Schulden zum Nennwert mit Zins und Zinseszins zurückgezahlt hat, obwohl diese Fonds die Staatsanleihen zum Schnäppchenpreis aufgekauft hatten. Dafür hat die Regierung neue Kredite aufgenommen und einen enormen Anstieg der Verschuldung in Kauf genommen. Im Herbst stehen Wahlen an und dabei die Frage, ob es ein Comeback für Cristina Kirchner mitsamt ihrer heterodoxen Wirtschaftspolitik gibt oder ob die neoliberale Politik der Macri-Regierung ihre Fortsetzung findet. Die Präferenz des IWF ist klar: Für ihn ist Argentinien ein Prestigeprojekt und ein Land, das für die kapitalistische Entwicklung Lateinamerikas sehr wichtig ist. Der IWF hat sich dort mit einer so hohen Kreditsumme engagiert, weil Macri nicht fallen soll. Ein Scheitern dort kann sich der IWF kaum leisten.
Wie steht es um die Zukunft von IWF und Weltbank?
Der IWF ist grundsätzlich als Regulierungsinstanz sehr wichtig, müsste aber neu, anders und sozialer ausgerichtet werden. Ob die westlich dominierte Weltbank zwingend notwendig ist, ist fraglich. Sicher ist, dass es Entwicklungsbanken bedarf, um die Bekämpfung der Armut, die Eindämmung des Klimawandels und den Ausbau von Infrastruktur zu finanzieren. Die Weltbank ist aber bisher dem fossilen Modell verhaftet. Und das hat keine Zukunft.
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