Grüner Leitfaden

Bremer Koalitionsvertrag trägt deutlich die Handschrift der zweitstärksten Kraft im Bunde

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 4 Min.

Wie ein grüner (Leit-)Faden ziehen sich Ziele der Ökopartei durch den Bremer Koalitionsvertrag mit SPD und Linkspartei. Die autofreie Innenstadt, der Kohleausstieg bei der Bremer Stromproduktion, ein klimaneutraler Hafen, das Anpflanzen robuster und als Insektennahrung tauglicher Bäume im öffentlichen Raum: Beispiele für grüne Politik, die nun verwirklicht werden soll. Zusammen mit SPD und Linkspartei.

Letztere darf nun erstmals auch in einem der »alten« Bundesländer mitregieren und versuchen, ihre Vorstellungen von verantwortungsvoller Sozialpolitik zu verwirklichen. So etwa in Form eines »massiven Ausbauprogramms« für Schulen und Kindertagesstätten, wie es die SPD-Landesvorsitzende Sascha Aulepp bei der Vorstellung des Koalitionsvertrages nannte. Vor allem sollen solche Kitas gestärkt werden, deren Kinder und Eltern »vor besonderen Herausforderungen stehen«. Des Weiteren will die Koalition das in der Bremischen Landesverfassung verankerte »Recht auf gutes Wohnen« mit Leben erfüllen. Es gelte, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Zugleich wolle man jenen Vermietern »stärker auf die Finger schauen«, die Wohnungen, aus denen sie Profit ziehen, verwahrlosen lassen, kündigte Aulepp an.

Auch wollen die Koalitionäre beobachten, welche Erfahrungen Rot-Rot-Grün in Berlin mit dem gerade beschlossenen »Mietendeckel«, einem fünfjährigen Moratorium für Mieterhöhungen, macht - ein Vorhaben, das den Bremer Bündnispartnern offenbar sympathisch erscheint. Weiter soll der künftige Senat Wohnungen ankaufen, um sie Menschen ohne Obdach zur Verfügung zu stellen. Sie sollen zugleich bei der Suche einer eigenen Wohnung und eines Jobs unterstützt werden.

Gelebt werden soll in Bremen in einer »Gesellschaft der Vielfalt«, betonen die Partner. Sie planen eine Antidiskriminierungsstelle des Landes und für junge Menschen spezielle Beschwerdestellen. Letztere sind als Ansprechpartner für Schülerinnen und Schüler gedacht, die von Diskriminierung durch Lehrer oder Schulleitungen betroffen sind. »Rassismus, Antisemitismus, Islamfeindlichkeit, Xenophobie und Homophobie müssen in Schulen wirksam bekämpft werden«, unterstreichen die Bündnispartner.

An Kinder und Jugendliche denken sie auch mit Blick auf den Eintrittspreis für den Schwimmbadbesuch: Ab 2020 sollen alle unter 16 Jahren nur noch einen Euro zahlen. Weiter sollen Modelle eines kostenfreien öffentlichen Nahverkehr geprüft werden. Kinder und Jugendliche aus armen Familien sollen schon in Kürze kostenlos Bus und Bahn fahren können. Außerdem sollen Betriebe, die nicht ausbilden wollen, eine Abgabe zahlen. In den Jobcentern strebt Rot-Grün-Rot eine »Veränderung der Kultur« mit dem Ziel einer Reduzierung von Sanktionen an. Polizei und Justiz will das Bündnis im Sinne der Sicherheit der Bürger stärken. Auf »Staatstrojaner«, mit denen sich Behörden in fremde Computer hacken können, will man verzichten.

Während der Vorstellung des Vertrages fielen bei den Sprecherinnen und Sprechern aller drei Parteien immer wieder Worte wie »einig« und »gemeinsam«. Dabei sei in den Verhandlungen, so heißt es, aus den Reihen der LINKEN, durchaus »Zähneknirschen« zu hören gewesen, wenn es etwa um den Bestand der Schuldenbremse ging. Das ist verklungen: Das Verbot der Neuverschuldung ist, wie von SPD und Grünen verlangt, im Vertrag verankert. Jährlich sollen 80 Millionen Euro Schulden abgebaut werden. Der Neubau von Schulen und Kitas soll von den städtischen Wohnungsgesellschaften finanziert werden, die die Gebäude dann an die Stadt vermieten sollen, ein Verfahren, das an die auch in Berlin geplante »Öffentlich-öffentliche Partnerschaft« für ein Schulbauprogramm erinnert.

Der Vertrag soll eine »Wende« in der Bremer Politik besiegeln. Denn mit dem Wahldebakel der SPD ging am 26. Mai eine Ära zu Ende: Mehr als fünf Jahrzehnte hatten die Sozialdemokraten in Bremen und Bremerhaven allein regiert, in den letzten zwölf Jahren mit den Grünen.

Offensichtlich mit Zuversicht sieht das neue Bündnis der Bewältigung der zahlreichen selbst gestellten Aufgaben entgegen. Doch all das kostet Geld, und mit Reichtümern gesegnet ist das kleinste Bundesland wahrlich nicht. Die öffentliche Pro-Kopf-Verschuldung ist mit mehr als 30 000 Euro die höchste bundesweit. Und so werden viele Vorhaben »auf den Prüfstand« müssen. »Die Haushaltsberatungen werden die zweiten Koalitionsverhandlungen«, meinte der Landessprecher der Grünen, Hermann Kuhn.

Er nannte es »ein ziemliches Wunder«, dass die drei Partner es in nur drei Wochen geschafft haben, »einen sehr substanzreichen, detaillierten und fachkundigen Koalitionsvertrag« zu vereinbaren. Das sei nur möglich gewesen, »weil wir verstanden haben, dass auch der jeweils andere gute Ideen hat«.

Wo das Verständnis für »andere« jedoch ihre Grenzen hat, ist ebenfalls im Vertrag festgeschrieben: »Rechtsextremistische und rechtspopulistische Gruppierungen stellen eine Bedrohung für das friedliche und tolerante Zusammenleben dar«, ist dort zu lesen. Die zahlreichen Aktivitäten gegen Rassismus und Menschenfeindlichkeit werde die Koalition fördern und unterstützen.

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