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  • Gramsci und der Klimawandel

Sich mit sich selbst duellieren

Auswege aus der Klimakrise - mit Gramsci und Thatcher? Das Forum Umwelt und Entwicklung blickt in die Zukunft

  • Tom Wohlfarth
  • Lesedauer: 4 Min.

Dass es selbstzufriedenen liberalen Demokratien bisweilen schwer fällt, an die Zukunft zu denken, darauf macht seit mehr als einem Jahr eine Jugendbewegung namens Fridays for Future aufmerksam. Zugleich haben die letzten Wochen des Gedenkens an den Mauerfall vor 30 Jahren deutlich gemacht, dass auch die Aufarbeitung der Vergangenheit für Gesellschaften wichtig ist.

In Berlin hat sich nun das Forum Umwelt und Entwicklung, der Dachverband der Naturschutzorganisationen in Deutschland, nicht nur die Frage gestellt, wie denn die Welt künftig aussehen könnte, sondern dazu auch den Versuch unternommen, die Vergangenheit selbst in die Zukunft zu schicken: Auf der performativen Zeitreise ins Jahr 2048 wollte man die kommenden Entwicklungen nicht etwa dem Zufall überlassen, sondern von zwei Strategen der Vergangenheit lernen - dem marxistischen Politiker und Philosophen Antonio Gramsci und der neoliberal-konservativen Galionsfigur Margaret Thatcher.

Diesen beiden ist es überlassen worden, uns aus der Zukunft zu berichten. Und zwar, wie sie beide auf ihre Weise die Welt verändert haben würden - in Thatchers Fall nicht wirklich verändert, sondern vielmehr die bestehende Ordnung weiter gesichert. Ein Duell zwischen linker und neoliberaler Machtstrategie.

Das ist nicht der erste Versuch, politische Debatte mit Performance zu verknüpfen. Während aber etwa das Projekt »Welche Zukunft?!« des Regisseurs und Autors Andres Veiel im vergangenen Jahr noch Symposium und später daraus entwickeltes Theaterstück trennte, versuchte das Forum bereits vor einem Jahr, auf der als Zeitreise inszenierten Konferenz »Schöne Neue Welt 2048« beides zu verknüpfen. 100 fiktive Jahre nachdem George Orwell seine Dystopie »1984« veröffentlichte, begrüßte sein Kollege Aldous Huxley, Autor des dystopischen Romans »Schöne neue Welt« von 1937, verschiedene (lebende) Experten, die daraufhin utopische und dystopische Szenarien für das Jahr 2048 entwickelten.

Die vielleicht wichtigste Empfehlung an die noch etwas unsicheren Utopiker kam damals aber ausgerechnet von der 2013 verstorbenen ehemaligen britischen Premierministerin Thatcher, die immerhin unsere schöne neoliberale Welt der Gegenwart entscheidend mitgeprägt hat. Sie empfahl den Weltverbesserern einen strategischen Willen zur Macht anstelle von Wohlfühldemonstrationen und Symbolpolitik. Sie hätte ihnen auch die Lektüre Antonio Gramscis empfehlen können. Bis zu seiner Verhaftung durch die Faschisten 1926 Vorsitzender der Kommunistischen Partei Italiens, hatte Gramsci in seinen berühmten Gefängnisheften es als die wichtigste Aufgabe politischer Machtübernahme beschrieben, die »kulturelle Hegemonie« in einer Gesellschaft zu erlangen.

Im Berliner Bildungszentrum c13 stritten nun Gramsci und Thatcher - gemimt durch Forum-Geschäftsführer Jürgen Maier und die Geschäftsführerin der Naturfreunde, Maritta Strasser - darum, wer den überzeugenderen Plan für die Übernahme beziehungsweise Verteidigung der politischen Macht habe. Daran war allein schon bemerkenswert, dass sich eine Nichtregierungsorganisation aus Deutschland im Jahr 2019 überhaupt diese Frage stellte. Bezeichnenderweise war die erste Station von Gramscis »Plan A« die Überwindung der aktuellen Debatten, wer denn eigentlich zum »Wir« einer neuen Bewegung gehören sollte und wer nicht. So sei es nach und nach gelungen, eine heterogene, »solidarische« Gruppe innerhalb der Zivilgesellschaft herauszubilden, die es durch groß angelegte Streiks und durchaus auch den ein oder anderen Gesetzesverstoß tatsächlich schaffte, so etwas wie die »kulturelle Hegemonie« - und dadurch eben auch politische und ökonomische Macht - zu gewinnen. In Folge kam es zu umfassenden Steuerreformen, einer Demokratisierung der Wirtschaft und einer großen Wahlrechtsreform: Konzernchefs seien nun auch dem Parlament gegenüber rechenschaftspflichtig, im Parlament sitzen vor allem Bürger und lokale NGO-Vertreter, direkte Demokratie ist zwar umfassend möglich, aber selten genutzt, weil die Bevölkerung sich gut vertreten fühlt.

Was sich im Ergebnis nun allzu glatt anhört, ist im Detail facettenreicher: Natürlich habe es schwere soziale Kämpfe gegeben. Deutschland war insgesamt Nachzügler, weil das alte Wirtschaftsmodell hier länger funktionierte, die »rebellischen Städte« kamen zuerst in Südeuropa auf, die lange systemstabilisierenden Gewerkschaften Deutschlands mussten erst aus den USA lernen, wie man wieder vor allem die Interessen der schwächsten, nicht der stärksten Arbeitnehmer vertritt.

Weniger Fantasie, dafür einen etwas maliziösen Masochismus brauchte es für Thatchers »Plan B«, der die bekannten Elemente einer marktkonformen Fassadendemokratie weiterspann, um schließlich »den Shareholder Value zum Betriebssystem der Menschheit« gemacht zu haben. So offensichtlich wie erstaunlich war die Feststellung, dass der neoliberale Siegeszug konsequent gegen den Mehrheitswillen der Bevölkerung erfolgte. Denn diese Mehrheit habe sich immer nur sporadisch gegen etwas zusammengefunden, niemals für eine konkrete andere Politik.

Wer hat also dieses Duell am Ende gewonnen? Natürlich niemand, denn es war in Wirklichkeit kein Duell, sondern zwei Zukunftsvisionen, um deren jeweilige Verwirklichung »wir«, also die mehr oder weniger »progressive Zivilgesellschaft«, uns zunächst einmal mit uns selbst duellieren müssen. Oder eben gerade nicht mehr duellieren. Alle, die das Duell verpasst haben, können die Texte im Netz nachlesen. Bei aller Überzeichnung, Einseitigkeit und allem Dualismus, die die Konzeption mit sich bringt, ist das anregende Lektüre für alle, die tatsächlich die Welt verändern wollen und nicht nur ihren eigenen Lebensstil.

Texte zum Nachlesen auf www.snw2048.de

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