In Gesellschaft von Huskys
»Wettbewerb«: Abel Ferraras Thriller »Siberia« handelt von einer psychedelischen Selbstfindungsreise
Von Bahareh Ebrahimi
In einer Hütte, irgendwo im schneebedeckten Sibirien, trinkt Clint mit zwei russischen Frauen Wodka, die eine alt, die andere schwanger. Clint versteht sie nicht. Die Babuschka trinkt weiter, Clint küsst sie auf die Wange und geht mit der Schwangeren ins Bett. Auf seinem Rücken hat er etwas, das aussieht wie Peitschenspuren. Clint hat Albträume: Eine schwangere alte Frau blutet aus der Scheide.
Clint ist in sich gekehrt, begab sich ins Exil nach Sibirien, um sich selbst zu erforschen. Der Schnee, das Feuer und die Huskys leisten ihm Gesellschaft. Clint hat Visionen. Ihm erscheinen Gestalten, seien es sein Vater, seine Ex-Frau oder eben schwangere Frauen, mal tanzend, mal im Rollstuhl. Und Clint begegnet seinem anderen Ich, das behauptet, er sei schlimmster Verbrechen schuldig. Clint wird von einem Husky zerfleischt.
Von einer psychedelischen Selbstfindungsreise handelt der Film »Siberia«. Wir begleiten Clint (Willem Dafoe) auf seiner Odyssee, die einem psychoanalytischen Prozess ähnelt. Wir begreifen nur das, was Clint begreift. Nicht mehr. Und das, was Clint nicht versteht, etwa die russische Sprache, bleibt auch für uns Zuschauer unübersetzt. Halluzination beherrscht die Formensprache des gesamten Films. Ebenso Absurdität und Brutalität. Der brutalen Schönheit der Winterlandschaften werden brutale Wahnvorstellungen gegenübergestellt. Ein Wachtturm, nackte Männer mit blutigen Genitalien, die einer nach dem anderen erschossen werden.
Wenn wir nicht in Sibirien sind, sind wir im Kopf von Clint. Da wechseln sich die Landschaften, die Jahreszeiten, die Erinnerungen und die Wesen ab, die ihm begegnen. Nur die Huskys, die sind immer dabei.
Seine Ästhetik hat der Film vor allem der Kamera von Stefano Falivene zu verdanken. Sonst bietet der Psychothriller von Abel Ferrara nichts wirklich Neues, was man von dem Genre noch nicht kennt. Der wirre Mensch, seine Vergangenheit verarbeitend, und die monströsen Wesen, die einen mysteriös klingenden Satz wiederholen: »Wo ist der Doktor?« Die Fragen nach Schuld und Unschuld, rohe Gewalt und Sex. Doch dem Rezept gibt Ferrara noch etwas hinzu: schwarze Magie.
Clint gelingt es, nach einer langen Suche einen namenlosen Mann zu finden, einen Magier. Die Lehre und die Prinzipien der schwarzen Magie soll dieser ihm beibringen. Und wie man dadurch Kranke heilt. Es gebe keine Prinzipien, meint der Magier, das Wissen, die Vernunft seien dem Mysterium ein Hindernis. »Es ist unmöglich, ohne Vernunft zu leben«, protestiert Clint.
Man mag zunächst denken, plötzlich einen roten Faden gefunden zu haben: Vermutlich ist Clint selbst dieser »Doktor«, der entweder grausame Sachen getan oder miterlebt hat. Nun sucht er sein Heil in der Magie. »Rationalität ist dein eigentliches Problem«, so verrät der Magier Clint. Doch den roten Faden kann man sofort wieder vergessen. Um mit diesem Film etwas anfangen zu können, braucht man wohl keine Rationalität. Nur so kann man sich ruhig die letzte Botschaft des Films von einem bereits verspeisten Fisch erklären lassen.
»Siberia«: 26.2., 20.30 Uhr, Haus der Berliner Festspiele; 27.2., 12.15 Uhr, Haus der Berliner Festspiele; 1.3., 9.30 Uhr, Friedrichstadtpalast
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