Zeit ist Geld

Die spanische Serie »Haus des Geldes« hat in vielen Ländern Fans. Widerstand von Underdogs gegen die Staatsmacht kommt derzeit gut an

»Es ist purer Rock’n’Roll«, sagt der Schauspieler Álvaro Morte, befragt nach den Gründen für den Erfolg der Serie »Haus des Geldes«. Und es stimmt: In den mittlerweile 38 Folgen, verteilt auf vier Staffeln, geht es wild, ausufernd, unberechenbar, lustig, mal hart und brutal, mal sentimental zu.

Morte spielt in »La casa de papel«, so der spanische Originaltitel, den Professor. In jahrelanger Vorbereitung hat dieser den Plan für einen Überfall auf die Banknotendruckerei in Madrid ausgetüftelt und dafür mehrere Kriminelle angeworben und trainiert. Wie beim Schach hat er die Reaktionen der Staatsmacht durchgespielt, nichts soll dem Zufall überlassen bleiben. Und doch kann schon am Anfang ein Vorsatz des Professors nicht eingehalten werden: »In dem Moment, wo auch nur ein Tropfen Blut fließt, wären wir alle nicht mehr so was wie Robin Hood, wir wären einfach nur Schweinehunde.« Es kommt zu einer Schießerei mit Polizisten.

Dennoch hat die Serie wenig mit dem bekannten Komödien-Genre - Kleinkriminelle starten ein überdimensioniertes Vorhaben, das kläglich scheitert - zu tun. Ebenso wenig wie mit der gewieften Truppe von Gentlemen-Gangstern aus der »Ocean’s«-Hollywoodfilmreihe. Ein bisschen Tarantino-Humor findet sich zwar, doch ansonsten ist das Besondere an »Haus des Geldes« der Bruch mit Konventionen und die Überraschung. Und zwar sowohl filmisch als auch, was die Handlung angeht. Der Raub läuft nicht nach dem Motto ab: schnell rein, Geld rausholen und schnell verduften. Die Truppe will Milliarden stehlen, die erst gedruckt werden müssen - das dauert. Ein bekannter Spruch bekommt hier eine neue Bedeutung: »Zeit ist Geld.«

Die Serie lief im Jahr 2017 zunächst im spanischen Fernsehen - mit nur anfangs hohen Einschaltquoten -, bevor Netflix sie sich schnappte und die Teile auf typische Serienlänge zusammenschnitt. Die weltweite Ausstrahlung sorgte für den eigentlichen Durchbruch, denn »La casa de papel« scheint einen Nerv zu treffen. Die Unzufriedenheit vieler Menschen beschert den Aufmüpfigen Sympathien - in der Serie und in der Realität. Das Aufstehen der Underdogs gegen eine bis an die Zähne bewaffnete Staatsmacht, gegen das System insgesamt, wird von den Fans geradezu gefeiert. Spanische Serien sind ohnehin gerade populär - als Stimme der Filmwelt-Peripherie gegen Hollywood.

Ohne jegliches Marketing mutierte »Haus des Geldes« zur erfolgreichsten nicht-englischsprachigen Netflix-Serie. Daher wurde sie verlängert, obwohl nach der zweiten Staffel eigentlich Schluss war: Nun sollte es noch einen Überfall auf die Zentralbank in Madrid geben. Staffel 3 brach alle Rekorde: In der ersten Woche wurde sie von über 34 Millionen Accounts gestreamt und von über 24 Millionen sogar am Stück geschaut. Anfang April 2020 ging die vierte Staffel online und eroberte den ersten Platz der Netflix-Charts in vielen Ländern, auch in Deutschland. Aber auch jenseits von Smartphone und Smart-TV ist sie sichtbar. Das Outfit der Räuber, knallrote Overalls und Salvador-Dalí-Masken, sieht man auf Demonstrationen, in Fußballfankurven, beim Karneval in Rio oder auch schon mal bei echten Banküberfällen. Das alte Partisanen-Lied »Bella Ciao«, das zur Hymne der Banditen wird, erlebte ein Revival und mutierte 2019 in neuer Version zum Sommerhit in den Clubs.

Der Erfolg dürfte sich aber auch dadurch erklären, dass die Räuber moderne Protagonisten sind und keine Robin Hoods, die Geld von bösen Reichen stehlen, um es an die Armen zu verteilen. Es sind Individualisten, die anfangs allein durch den Plan des Professors zusammengebracht werden. Und so gleicht die multinationale Truppe eher einem Start-up, das die Geschäftsidee eines Nerds realisieren soll. Die Mitarbeiter sind flexible Scheinselbstständige mit Gewinnbeteiligung und Fachkräfte ohne geregelte Arbeitszeiten.

Der besondere Erfolg gerade in Südeuropa, großen Ländern Lateinamerikas und einigen arabischen Staaten erklärt sich wohl auch dadurch, dass die Serie etwas von einer Telenovela hat. Auch wenn sich die Banditen Städtenamen geben, um gegenüber den anderen anonym zu bleiben, entstehen komplexe, sich auch wegen der ständigen Wendungen des Geschehens verändernde Beziehungen zwischen den Räubern, zu den Geiseln, zwischen den Geiseln oder zur Einsatzleitung der Polizei, die vor der Druckerei Stellung bezogen hat. In den stärksten Momenten ist »Haus des Geldes« ein brachiales Kammerspiel mit viel Leidenschaft und Emotionen, mit vielschichtigen Charakteren, gespielt von einem hervorragenden Ensemble. Und wohl selten wurde in einer Serie so viel mit Waffen hantiert und in Relation dazu so wenig scharf geschossen.

Dies alles garantiert anhaltende Spannung über alle vier Staffeln. Oder wie es die draufgängerische Banditin Tokio ausdrückt: »Das Glück ist eine Achterbahnfahrt. Wenn du oben angekommen bist und denkst, den Himmel berühren zu können, geht es ganz schnell wieder bergab.«

Der Erfolg der Serie und ihrer Protagonisten forderte aber einen Tribut. Die Vielschichtigkeit ist ab Staffel 3 etwas verloren gegangen. Die Staatsmacht besteht nur noch aus fiesen Schurken, die auf Folter und Betrug setzen, während die Räuber zu einer Familie zusammengewachsen sind. Dem Erfolg schadet das nicht: Netflix hat zwei weitere Staffeln in Auftrag gegeben. Dass Staffel fünf wie geplant im September erscheinen wird, ist wegen Corona unwahrscheinlich. Mal sehen, ob nach der Epidemie Zeit immer noch Geld ist.

»Haus des Geldes«, auf Netflix

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