Der Stern leuchtet und kreischt

Er war der letzte der Heiligen Drei Könige des Rock’n’Roll: Little Richard ist gestorben

Für David Bowie war Little Richard »die Inspiration«. Bo Diddley erschien er als ein »Show-Biz-Genius«, er hatte Angst, nach ihm aufzutreten, obgleich er vier Jahre älter war. Für Smokey Robinson war Little Richard »der Beginn von Rock’n’Roll«, und Bob Dylan erklärte nun, da der Sänger und Pianist Little Richard am Samstag im Alter von 87 Jahren gestorben ist: »Er war mein leuchtender Stern, das Licht, das mich führte, als ich noch ein kleiner Junge war.«

Dieser Stern »kreischte und kreischte«, schrieb der Musikjournalist Nik Cohn. »Nie war sein Gesang leiser als das Brüllen eines wütenden Stieres. Jede Phrase garnierte er mit Wimmern, Schnarren oder Sirenentönen.« Klingt nach Superhelden-Comic und ist auch eins: Little Richard war ein Popstar völlig neuen Typs, »Wild and frantic«, wie ein Album von ihm aus dem Jahr 1966 heißt. Er war nicht nur rauschhaft, sondern auch queer - bevor dieses Wort überhaupt erfunden wurde. Motto: »A-wop-Bop-a-Loo-Bop-A-Lop-Bam-Boom«. So heißt die deutsche Übersetzung von Nik Cohns Geschichtsbuch »Pop from the Beginning«, und so lautet auch der Refrain von »Tutti Frutti«, dem ersten Hit von Little Richard.

Die Single erschien im Oktober 1955, knapp drei Monate vor »Heartbreak Hotel«, dem Durchbruch von Elvis Presley. Bereits im Juli 1955 war »Maybellene« rausgekommen, die erste Single von Chuck Berry. Das war in der Tat »Pop from the Beginning«, die Erfindung des Rock’n’Roll, geschaffen von den Heiligen Drei Königen dieser Musik. Sie vereinten Stadt und Land, den Rhythm and Blues der Schwarzen und den Hillbilly der Weißen. Das bedeutete auch eine Erweiterung des Pop-Marktes, und zwar weltweit. Auf einmal gab es Teenager, und die bekamen Taschengeld und wollten es ausgeben. Im segregierten Süden der USA, in dem Little Richard 1932 als Richard Wayne Penniman in Macon, Georgia, geboren wurde, durften Schwarze und Weiße im Bus nicht nebeneinandersitzen. Doch ihre Kinder standen nebeneinander auf den Konzerten von Little Richard.

Trotzdem erhielt nur Elvis den Beinamen »The King«. Berry und Richard bekamen für ihre ersten Hits kaum Geld. Für jede verkaufte Platte bekam Little Richard einen halben Cent, für »Tutti Frutti« insgesamt nur 25 000 Dollar. Er hatte das so unterschrieben, auch dass die Frau, die seinen Songtext extra entschärft hatte, Tantiemen erhielt. Dass es in der Musik um Sex ging, blieb trotzdem sonnenklar, wie auch bei »Long Tall Sally«, »Ready Teddy«, »God Golly Miss Molly« und den fünf weiteren klassischen Singles, die er bis 1958 für das Speciality-Label in Los Angeles aufnahm. Und zwar Sex egal mit welchem Geschlecht. Richard nannte sich backstage wahlweise schwul, bisexuell oder »omnisexuell«. Als erster (biologischer) Mann im großen Popgeschäft, in Glitzeranzügen mit großen Jacken und Baggy-Hosen, mit hochtoupierten langen schwarzen Haaren und Goldringen an den Fingern, die im Scheinwerferlicht glänzten, »stand er am und manchmal auf dem Klavier, hämmerte Boogie-Akkorde und schrie Botschaften der Freudenfeste und ichsüchtigen Vergnügungen«, wie es der Radiomoderator Charlie Gillett einmal ausdrückte. Die Ästhetik von Little Richard wurde lange Zeit als »flamboyant« umschrieben, das reicht bis in die aktuellen Nachrufe. Berühmt sind auch seine »Woooo«-Rufe in den Songs, die James Brown in den 60er Jahren dann mit seinem songstrukturierenden Stöhnen und »Good God«-Ausrufen noch eindeutiger machen sollte.

Richard war auch für James Brown ein Idol. Dessen Ansatz, Musik so zu spielen, dass die Stücke ineinander übergehen, damit die Party am besten niemals aufhört, prägte das moderne DJ-Prinzip. Er entwickelte es auf Basis der Little-Richard-Auftritte, was man sofort an seinen Live-Aufnahmen erkennt: ein einziger Rausch, der über einen kommt. Spannung aufbauen und abgehen. Das kommt nicht vom Blues, sondern vom Gospel - der Musik, aus der Little Richard kam und in die er schon 1957 zurückkehrte, weil es ihm zu viel wurde mit dem Popgeschäft und vermutlich auch mit den Gendertroubles. Angeblich warf er nach einer Australientournee seinen Schmuck ins Meer - Teufelszeug.

Als Kind sang er Gospel, erst in der Kirche in seiner Geburtsstadt Macon und dann mit zweien seiner Brüder in seiner ersten Band. Seine Eltern waren Adventisten, sie hatten zwölf Kinder. Weil er als queerer Junge zu Hause immer Ärger hatte, ging er weg - mit 14. Er machte bei Medizin-Shows mit, wo angebliches Schlangenöl gegen Rheuma für zwei Dollar die Flasche verkauft und in den Pausen gesungen wurde. Richard sang dann »Caldonia« von Louis Jordan: das einzige Lied, das er kannte, das kein Kirchenlied war. Danach war er mit einer Minstrel-Show in Alabama unterwegs, in der Männer in Frauenkleidern sangen. Richard hieß »Princess Lavonne«. Das sei »wie ein kleiner Karneval« gewesen, erzählt er seinem Biografen Charles White in »The Life and Times of Little Richard« (1984).

Als er 1951 seine erste eigene Single aufnahm, arbeitete er in Macon als Tellerwäscher. »Every Hour« war gemäßigter Blues nach Art von Billy Wright, seinem damaligen Vorbild: konventionell und unspektakulär. Auf die Sprünge half ihm ein Sänger, der sich Esquerita nannte: Sie hatten sich in der Greyhound-Busstation in Macon kennengelernt, nachts. Für Richard hatte Esquerita »die größten Hände«, die er gesehen hatte, doppelt so groß wie seine. Damit spielte er am Klavier Proto-Rock’n’Roll, schon noch ein bisschen langsam, aber mit »Woooo«-Rufen und optisch im queeren Style. Das brachte er alles Little Richard bei. »Believe Me When I Say Rock’n’Roll Is Here To Stay« heißt ein Lied von Esquerita, auf Platte erschien es aber erst 1959, als Little Richard schon eine Ausbildung als Priester begonnen hatte.

1962 veröffentlichte Richard noch eine interessante Single, auf der er Rock’n’Roll und Gospel mischt: »He Got What He Wanted (But He Lost What He Had)«. Das war wie ein Kommentar zu seiner Musik, die einfach stehenblieb. Doch als die Beatles und die Rolling Stones noch niemand kannte, waren sie bei ihm im Vorprogamm. Und der junge Jimi Hendrix war in seiner Band.

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