Die Verhältnismäßigkeit der EZB-Mittel
Zentralbank reagiert nun doch auf Urteil des Bundesverfassungsgerichts - Regierung und Bundestag betrachten den juristischen Streit als erledigt
Die rechten Euro-Kritiker frohlockten im Mai ob eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts, das gegen die Europäischen Zentralbank (EZB) und noch mehr gegen den Europäischen Gerichtshof (EuGH) gerichtet war. Die große Aufregung scheint sich jetzt fast unbemerkt in Wohlgefallen aufzulösen: Für die Bundesregierung jedenfalls hat sich die Sache erledigt.
Die Richter hatten in einem juristisch fragwürdigen Urteil ein Anleihenkaufprogramm der EU-Zentralbank aus der Zeit der Eurokrise für teilweise verfassungswidrig eingestuft. Die EZB habe 2015 ihre Beschlüsse nicht umfassend begründet. Erstmals ignorierte Karlsruhe damit eine gegenteilige Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs, der in Fragen des EU-Rechts eigentlich das Sagen hat. Das deutsche Gericht forderte die EZB auf, die Verhältnismäßigkeit des Programms binnen drei Monaten zu begründen. Ansonsten dürfe sich die Bundesbank als hiesige Außenstelle der Zentralbank nicht mehr an dem in kleinem Umfang weiterlaufenden Programm beteiligen.
Vor allem linke Ökonomen kritisierten scharf die wirtschaftspolitische Stoßrichtung, denn das Gericht machte sich rechte Kritik an der EZB-Geldpolitik zu eigen, etwa dass die Niedrigzinspolitik zu einer »Enteignung« der Sparer führe. Außerdem ignoriert das Urteil auch die festgelegte Unabhängigkeit der EZB von staatlichen Stellen. Karlsruhe fordert trotzdem den deutschen Gesetzgeber auf, seine Vorgaben etwa bei der Bundesbank durchzudrücken.
Zentralbankpräsidentin Christine Lagarde wies daher das Urteil zurück und erklärte, die EZB sei eine unabhängige Institution, die durch ihr Mandat angetrieben werde und rechenschaftspflichtig nur gegenüber dem Europaparlament sei. Aber offenbar war es den Verantwortlichen im Frankfurter EZB-Tower nicht ganz geheuer. Schließlich hat die Zentralbank im Zuge der Coronakrise gerade erst die Geldschleusen so weit geöffnet wie nie zuvor. Ein ganz neues Anleihenkaufprogramm hat mittlerweile einen Gesamtumfang von bis zu 1,35 Billionen Euro. Es darf nicht gefährdet werden, soll es doch den Absturz der Wirtschaft im Euroraum in die Rezession verhindern.
Entgegen ersten Äußerungen reagierte die EZB doch auf das Karlsruher Urteil, ohne dies aber an die große Glocke zu hängen. Im Protokoll der Ratssitzung vor einer Woche findet sich die Aussage, das Anleihenprogramm von 2015 sei »verhältnismäßig«. Es habe dazu beigetragen, die Ziele bei der Preisstabilität in der Eurozone zu erreichen, was laut EU-Mandat Hauptaufgabe der EZB ist. Zudem seien »ausreichend Sicherungen« in das Programm eingebaut gewesen, um mögliche negative Folgen zu begrenzen.
Ob diese dünnen Ausführungen der von Karlsruhe verlangten Verhältnismäßigkeitsprüfung entsprechen, sei dahin gestellt. Das Bundesfinanzministerium findet sie jedenfalls ausreichend: Der Rat der Zentralbank habe seine Verhältnismäßigkeitserwägungen »nachvollziehbar dargelegt«, heißt es in einem Brief von Minister Olaf Scholz (SPD) an Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU). Dies genüge den Anforderungen des Urteils »in vollem Umfang«. Laut einem Bericht des Finanzportals Bloomberg hatte die EZB dem Finanzministerium auch nichtöffentliche Dokumente aus dem Jahr 2015 zur Verfügung gestellt.
Die Regierung scheint heilfroh, dass die EZB doch reagiert hat. Sie wollte keinesfalls, wie von Karlsruhe verlangt, die Bundesbank zwingen, aus dem alten Anleihenkaufprogramm auszusteigen. Politische Weisungen an die Zentralbank sind ja verboten.
Grünes Licht gibt es auch vom Bundestag. Union, SPD, Grüne und FDP stellten sich am Donnerstag in einem gemeinsamen Antrag hinter die EZB. Die Linksfraktion enthielt sich, da sie den Rummel um das Urteil dafür nutzen möchte, eine Debatte über eine Ausweitung des EZB-Mandats zu führen, etwa um das Verbot der Staatsfinanzierung zu kippen. »Denn nur die EZB kann in Euro nie pleitegehen und ist der Kreditgeber der letzten Instanz«, so Finanzexperte Fabio De Masi. Bei den marktradikalen Kräften in der CDU und vor allem der CSU, FDP und AfD kommt dies nicht gut an - ihnen ist die Geldpolitik der EZB schon jetzt viel zu locker. Und die AfD will sogar gegen das neue Anleihenprogramm klagen - natürlich in Karlsruhe.
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