• Wissen
  • Volkswirtschaftslehre

Wer rettet den Kapitalismus?

HASSLIEBE: Stephan Kaufmann lässt »unsere Wirtschaft« abblitzen

Ökonomen wird vorgeworfen, in hohen Elfenbeintürmen an lebensfernen Modellen zu tüfteln. Doch nun wendet sich einer ihrer Vertreter an die Öffentlichkeit: Clemens Fuest, Chef des Münchener Ifo-Instituts, hat ein Buch geschrieben: »Wie wir unsere Wirtschaft retten«, so der Titel, der einige Eigenheiten der herrschenden Volkswirtschaftslehre (VWL) reproduziert. Der Reihe nach:

Wirtschaft: Die VWL sagt von sich, sie untersuche im Ausgangspunkt nicht eine spezielle Wirtschaftsweise, sondern »die Wirtschaft« an sich. Ein VWL-Lehrbuch beginnt nicht mit der Frage »Wie geht Kapitalismus?«, sondern gibt vor, die überhistorischen Kausalitäten des Produzierens und Verteilens zu beschreiben. Durch allerlei Vorannahmen - unter anderem dem Eigentum, dem »homo oeconomicus«, speziellen Effizienzkriterien und der Existenz eines quasi natürlichen Güterwertes - wird die Welt des Wirtschaftens jedoch ziemlich genau nach den Gegebenheiten des Kapitalismus modelliert, womit sich der Kapitalismus wie von selbst als die adäquate Lösung für alle Probleme des Wirtschaftens ergibt. Auf diese Weise schafft es die VWL, die herrschende Wirtschaftsform als die beste und letztlich naturgemäße darzustellen.

wir unsere: Die VWL errechnet regelmäßig das Bruttoinlandsprodukt, also die Leistung »unserer« Wirtschaft. Im Ausgangspunkt wie im Ergebnis liegt der geschaffene Reichtum allerdings zum Großteil als Privateigentum vor; mit dem Ergebnis: Einige haben sehr viel, viele haben sehr wenig. Laut neuesten Daten sollen die zehn reichsten Prozent der deutschen Haushalte über zwei Drittel des Vermögens verfügen. Die Darstellung der vielen, sehr unterschiedlich großen Einzelvermögen als gemeinschaftliche Wirtschaftsleistung nützt vor allem jenen, denen besonders viel von dem gehört, was laut VWL »unser« ist.

retten: Dieses Wort legt nahe, dass »unsere Wirtschaft« erstens vom Untergang bedroht ist und zweitens erhalten werden muss. Es ist der in der VWL gängige Standpunkt der Sorge - diese Wissenschaft hat eine affirmative Haltung gegenüber ihrem Untersuchungsgegenstand. Bedroht wird »unsere Wirtschaft« von äußeren Einflüssen, unter anderem vom Coronavirus, dem Klimawandel und der Alterung der Bevölkerung. Dass diese Wirtschaftsform auf permanentem Kapitalwachstum beruht und daher keinen Moment Stillstand zum Schutz der Bevölkerung vor Ansteckung aushält; dass der notwendige Schutz des Klimas, ein vernünftiges Gesundheitssystem oder die Vermehrung inaktiver Menschen (Rentner) diesem System offensichtlich unerträgliche Kosten bereiten - all das soll nicht Zweifel in die herrschende Wirtschaftsweise säen, sondern bloß Sorge um sein Gedeihen.

Wie: Dagegen ist nichts einzuwenden.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!