Verhüllungen
Streit um die Hagia Sophia
Verhüllungen sind beliebt, in der Mode, in der Kunst, zu Weihnachten. Und ebenso in einem liederlichen Haushalt. Aber auch aus politischer Scham. Man erinnere sich, als US-Außenminister Colin Powell im Foyer des New Yorker Domizils der Vereinten Nationen vor der Weltpresse eine hanebüchene Begründung für die Invasion im Irak abgab. Hinter ihm verdeckte die UN-Flagge eine Kopie des berühmten Antikriegsgemäldes von Pablo Picasso, »Guernica«, vom Maler nach dem verheerenden Bombenangriff der deutschen Legion Condor auf die gleichnamige Stadt im Baskenland 1937 geschaffen.
Verhüllungen bedienen sich auch religiöse Eiferer, sei es, um Frauen eine untergeordnete Rolle zu oktroyieren. Im schlimmsten Fall werden Symbole von »Heiden« oder »Ungläubigen« weggesprengt, wie es die Taliban mit den weltberühmten Buddha-Statuen von Bamiyan in Afghanistan handhabten. Man kann nur hoffen, dass solch frevelhafte Untat sich nicht in den heiligen Hallen der weltberühmten Hagia Sophia in Istanbul wiederholt. Nach der Entscheidung des Obersten Verwaltungsgerichts der Türkei, deren Museumsstatus aufzuheben und sie wieder als Moschee zu nutzen, sollen beim muslimischen Gebet am kommenden Freitag christliche Mosaike mit Vorhängen verhüllt werden. Was folgt noch?
Schon die der Gerichtsentscheidung vorausgehende Ankündigung des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, die Hagia Sophia in einen Sakralbau der islamischen Glaubensgemeinde rückzuverwandeln, und dass er dies als einen »Sieg über die Christenheit« beschwor, hatte für internationale Kritik gesorgt. Im Wissen um die Sturheit und Selbstherrlichkeit des von einem eigenen großen Imperium träumenden Regenten in Ankara gab es im Streit um das mit der Altstadt von Istanbul seit 1985 auf der Unesco-Weltkulturerbe-Liste stehende Gebäude auch Gesten der Vermittlung und Versöhnung. Die Denkmalschutzorganisation World Heritage Watch schlug vor, dass in der Hagia Sophia Christen und Muslime gemeinsame Gottesdienste veranstalten, gleichsam als »Symbol für interreligiöse Brüderlichkeit und Frieden zwischen den Weltkulturen«. Denn: »Nie zuvor hat die Welt solche Symbole mehr gebraucht, und die Geschichte wird diejenigen ehren, die, anstatt Spaltung zu schaffen und sich Feinde zu machen, Größe zeigen, indem sie Frieden schaffen.« Dies deckt sich indes leider nicht mit der Größe, die Erdoğan für sich reklamiert. Noch so gut gemeinte Appelle dürften ergo wirkungslos bleiben.
Die im Jahr 537 geweihte Krönungskirche der byzantinischen Kaiser war 1453, als die Osmanen Konstantinopel eroberten, zu einer Moschee umfunktioniert worden. 1935 wurde sie unter Mustafa Kemal Atatürk, dem Begründer und ersten Präsidenten der Republik Türkei, in ein Museum umgewandelt. Dessen Vermächtnis, die Prinzipien des Kemalismus, Republikanismus, Volkssouveränität und Laizismus, die Trennung von Staat und Religion, sind längst über Bord geworfen, auch wenn Bildnisse und Statuen des einstigen jungtürkischen Revolutionärs und in diversen Schlachten sich »Ruhm und Ehre« erwerbenden Offiziers im öffentlichen Raum noch präsent sind.
Der Streit um die Hagia Sophia währt seit Jahren. Gegen das immer wieder geäußerte Ansinnen einer Rückverwandlung in eine Moschee protestierte die Griechisch-Orthodoxe Kirche, die nunmehr durch den aktuellen Zwist zwischen Ankara und Moskau wegen des Krieges in Syrien Beistand aus dem Kreml erhält.
Auf »Heilige Weisheit«, was Hagia Sophia auf Griechisch bedeutet, kann man wohl nicht bauen im Drama um den antiken Bau am Bosporus, der selbst den Jahrhunderte später errichteten Petersdom in Rom überragt. Auf Toleranz, wie im Koran gefordert und im Osmanischen Reich gegenüber den anderen abrahamitischen Religionen durchaus praktiziert, vermutlich ebenso wenig.
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