In der riesigen rechten Blase

Max und Moritz analysieren im Chat und Podcast den US-Wahlkampf

MUM19 - In der riesigen rechten Blase

Hallo Moritz, unser letztes Gespräch bevor es für dich abgeht auf Reportagereise in die USA. Und bevor du sie in persona triffst, lass uns doch noch mal über die politische Rechte in den USA reden. Viele Menschen können ja oft gar nicht verstehen, warum 40 Prozent der Amerikaner immer noch fest zu Trump stehen. Denn Sie wissen nicht, dass in den Debatten der Konservativen all seine Skandale und selbst das Coronavirus kaum eine Rolle spielen. Worüber reden sie stattdessen?

Es gibt grob vier Themen, die in verschiedenen Variationen seit Monaten rauf- und runtergespielt werden. Da wäre zunächst die Kriminalität, also »Law and Order«, quasi als Antwort auf Black Lives Matter. Rechte Medien malen ein Bild, in dem Amerika bedroht ist von einer Spirale des Verbrechens in gesetzlosen Städten, die außer Kontrolle geraten. Die zweite Sache ist Corona. Erst hat man die Pandemie wie Trump verharmlost, und nach seiner Ansteckung mit dem Virus wird nun seine heldenhafte Genesung in faschistoider Ästhetik inszeniert. Das dritte Thema ist die Wirtschaft. Donald Trump selbst erwähnt immer wieder den Aktienmarkt, der dank der Hilfspakete schon wieder fast alle Verluste aus der Corona-Rezession aufgeholt hat. Was ausgeblendet wird, sind die Millionen Arbeitslosen und die große soziale Not im Land. Und viertens wird natürlich auf die Demokraten eingeschlagen. Es wird davon geredet, dass sich sozialistische und radikale Kräfte mit den Medien gegen das aufrechte, konservative Amerika verschworen hätten.

Ein gutes Beispiel ist der Geheimdienstdirektor John Radcliffe – von Trump berufen natürlich. Anstatt sich um den realen rechten Inlandsterrorismus zu kümmern, veröffentlicht er lieber russische Propaganda über Hillary Clintons Emails und angeblichen Coups gegen Trump. Obwohl das nichts mit der Lebenswirklichkeit der Leute zu tun hat, findet das großen Anklang. Warum?

Hier geht es um »Obama-Gate«. Das ist eine Geschichte, die Donald Trump letztes Jahr als Gegennarrativ zu den Impeachment-Untersuchungen im Repräsentantenhaus aufgebaut hat. Demnach habe die Obama/Biden-Regierung mit Clinton gemeinsam versucht, die Machtübergabe an Trump zu sabotieren mit der angeblich falschen Behauptung, dass es eine russische Einflussnahme auf Trump gegeben habe. Geheimbünde im Beamtenapparat würden hier gegen Trump arbeiten. Doch in der Tat fußt das alles nur aufgezeichneten Gesprächen russischer Geheimdienstler noch vor der Wahl 2016. Hier gibt es keinen Skandal, doch es wird dazu aufgeblasen mit angeblichen Exklusiv-Storys und Enthüllungen. Das dominierte in jenen Tagen die Berichterstattung auf Fox News, als alle anderen über Trumps Covid-Erkrankung redeten.

Der TV-Sender Fox News ist nur die Spitze des Eisbergs. Der hat ein paar Millionen Zuschauer, aber es gibt noch viel mehr im rechten Universum.

Richtig. Da wurde über Jahrzehnte eine Parallelrealität konstruiert, vor allem online. Von den zehn meist gelesenen Facebook-Posts in den USA sind fast immer sieben, oder acht von rechten Youtubern, Influencern, von Fox News oder Donald Trump selbst. Das ist eine riesengroße rechte Blase, in die es sehr schwierig ist einzudringen.

Neben Trump gibt es noch andere fragwürdige Politiker. Auf die Angst der Demokraten, Trump könnte das Ende der US-Demokratie bedeuten, antwortete Senator Mike Lee aus Utah kürzlich, Die USA seien gar keine Demokratie. Was sollte das bedeuten?

Lee ist ein Hardcore-Rechter und twitterte dies tatsächlich nach der ersten TV-Debatte. Für ihn sind die USA eine konstitutionelle Republik. Und Ziel sei eben nicht die Demokratie, sondern Freiheit, Frieden und Wohlstand. Das verbreiten die Republikaner schon seit Jahrzehnten: Wohlstand ist wichtiger als die Volksherrschaft. Das basiert auf einer Vorstellung, die noch aus dem 19. Jahrhundert stammt. Demnach wählen nur Leute, denen das auch zusteht: damals die wohlhabenden Männer, aber keine Frauen, Armen oder Minderheiten. Und jetzt wird eben ehemaligen Kriminellen mancherorts das Wahlrecht verwehrt. Politikwissenschaftler nennen das institutionelle Minderheitenherrschaft. In diesem Fall die Herrschaft weißer Rassisten, die Angst haben vor einem braunen und schwarzen Amerika. Das Wahlsystem ist immer noch auf Grund regionaler Gegebenheiten so angelegt, dass Joe Biden national mit knapp drei Prozentpunkten Vorsprung gewinnen muss. Im Senat ist es noch schlimmer. Da müssen die Demokraten mit sechs bis sieben Prozent vorn liegen, um mehr Sitze zu bekommen, weil ihre Klientel in den Städten weniger stark vertreten ist als die Weißen auf dem Land.

Auch am Obersten Gerichtshof haben die Konservativen bald wohl eine 6:3-Mehrheit. Trumps Kandidatin Amy Coney Barrett stellte sich diese Woche im Senat vor. Auch das ist ein großes Thema bei den Republikanern.

Das liegt daran, dass die Präsidentschaft Donald Trumps mit Ausnahme von Steuersenkungen kaum erfolgreich war. Bei der Neubesetzung von Richterstellen an Bundesgerichten aber war sie es. Coney Barrett wäre schon Trumps dritte Besetzung am Supreme Court. Da die Richter auf Lebenszeit ernannt werden, könnte das Ungleichgewicht vielleicht sogar dreißig Jahre anhalten. Die evangelikalen Christen hoffen darauf, dass der Supreme Court zum Bollwerk gegen die gesellschaftliche Modernisierung wird und zum Beispiel Abtreibungen wieder verbietet. Auch an Gerichten auf unteren Ebenen hat Trump 194 Richterstellen neu besetzt. Wenn die Wahl knapp ausgeht, hofft er sicher, dass genau diese Richter ihm am Ende auch zum Sieg verhelfen werden.

Nun gibt es am äußersten rechten Rand noch gruseligere Figuren als Trump. Stichwort Q-Anon. Übernehmen die jetzt die republikanische Partei?

Das weiß ich nicht, aber sie haben immer mehr Einfluss. QAnon ist eine abstruse Verschwörungstheorie, nach denen eine Elite aus Politikern, Wirtschaftsbossen und Wohlhabenden Kinder in geheime Bunker entführt und aus ihnen ein Serum zur ewigen Jugend gewinnt. Und Donald Trump geht angeblich dagegen vor. Er selbst glaubt wohl nicht daran, aber er verbreitet das Zeug mit Hunderten Retweets. Außerdem haben sich 24 QAnon-Anhänger bei den Vorwahlen durchgesetzt und könnten nun ins Repräsentantenhaus einziehen.

Viele treten in erzkonservativen Bezirken an und haben tatsächlich sehr gute Chancen. Gibt es am anderen Ende des konservativen Spektrums auch eine Absetzbewegung in Richtung der politischen Mitte und weg von Trump?

Tatsächlich tritt das so langsam ein, allerdings nur bei einigen Kandidaten für den US-Senat. Sie stecken in sehr engen Rennen und distanzieren sich etwas vom Coronakurs des Präsidenten. Sie appellieren an Wähler, die Trump nicht ausstehen können, trotzdem für sie zu stimmen, um als Kontrolle zu dienen, sollte Joe Biden Präsident werden. 1996 hat das bei der Wiederwahl von Bill Clinton bei einigen Senatoren geklappt. Vermutlich wird es diesmal aber nicht funktionieren, weil Trump nicht der Herausforderer, sondern Amtsinhaber ist. Aber das ist so eine Frage, die bis zum Wahlabend offen bleiben wird.

Und das selbst für Experten wie Max und Moritz. Wenn Sie, liebe Leserinnen und Leser, noch Fragen haben, schreiben Sie sie am besten schnell an podcast@nd-online.de. Max und Moritz werden diese mit etwas Glück schon in der nächsten Folge beantworten.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -